Angel’s Share

Whiskyfässer der Destillerie ObanKostenloser Alkohol für die Engel – unter dieser Überschrift hätte ich den Beitrag auch schreiben können. Denn das ist es, worum es beim Angel’s Share geht: Die Engel fordern ihren Anteil am Whisky während der Zeit der Lagerung. Dass es sich hierbei auch um den alkoholischen Teil des Whiskys handelt, sollte man den Engeln aber nicht übel nehmen, denn das ist bei der Lagerung in Holzfässern eben so. Jedes Jahr verschwindet ein Teil des Alkohols durch das Eichenholz, einfach so, als Anteil für die Engel.

Naja, ob der Angel’s Share am Ende wirklich bei den Engeln ankommt, sei einmal dahin gestellt. Das Phänomen des Verdunstens von Alkohol ist jedenfalls nicht neu und bei allen Herstellern von Spirituosen bekannt, die ihre Produkte in Holzfässern lagern. Hielt man das Verschwinden des Alkohols in den frühen Jahren noch für Hexenwerk, hat man heute eine plausible technische Erklärung dafür gefunden. Diese liegt in der Struktur des Holzes, die aller augenscheinlichen Ebenheit zum Trotz unter dem Mikroskop röhrchenförmig aussieht.

Des einen Freud, des anderen Leid. Durch die Röhrchenstruktur bekommt das Holz eine große Oberfläche bzw. Kontaktfläche, über die der Whisky dem Eichenholz mehr Aromastoffe entziehen kann. Doch die Verbindungen der Röhrchen untereinander sind nicht luftdicht, so dass hierdurch Gase aus dem Fass in’s Freie gelangen können.

Da ein Whiskyfass während der Lagerung nicht vollständig mit Flüssigkeit gefüllt ist, sammeln sich mit der Zeit oberhalb des Flüssigkeitsspiegels flüchtige, gasförmige Substanzen, die das Holz durchdringen können. Der Headspace, also der Luftraum über der Flüssigkeit, ist zwar sehr wichtig für die Reifung des Whiskys, doch genau hier wird eben leider auch der Angel’s Share ‚produziert‘. Ein Teil der im Headspace vorhandenen Gase ist normaler Wasserdampf. Doch leider sammelt sich hier auch Alkohol (Ethanol), der mit der Zeit aus dem Whisky verdampft.

Daher kommt es dann auch, dass nicht nur Alkoholgehalt des Whiskys im Fass sinkt, sondern auch der Flüssigkeitsgehalt. Der Angel’s Share besteht also streng genommen nicht nur aus Alkohol, sondern aus einer Mischung aus Alkohol und Wasser. Der Prozess gleicht im Grunde einem Teufelskreis, denn bei abnehmendem Inhalt des Fasses vergrößert sich der Headspace und es ist mehr Platz für flüchtige Gase.

Die Verdunstungsmenge und die Zusammensetzung der aus dem Eichenfass entweichenden Gase hängt dabei ganz wesentlich von den klimatischen Randbedingungen ab, in denen das Fass gelagert wird. Daher sind neben Alter, Art und Größe des Fasses insbesondere Luftdruck, Lufttemperatur und vor allem der Feuchtigkeitsgehalt in der umgebenden Luft von Bedeutung. Bei hoher Luftfeuchtigkeit wie in Schottland typisch wird anteilig nicht so viel Wasser aus dem Fass entweichen wie Alkohol. Problematisch ist dies, da die im Whisky enthaltenen Aromastoffe bei geringerem Alkoholgehalt eher oxidieren und sich der Geschmack des Whiskys so nicht unbedingt wie gewünscht verändert. Im Gegensatz dazu verdunstet mehr Wasser aus dem Whisky, wenn man diesen zum Beispiel in trockenen und warmen Gegenden der USA lagert. Die Folge davon ist, dass der Alkoholgehalt auch steigen kann.

Den Engeln scheint dieser Unterschied allerdings nicht so wichtig zu sein. Sie nehmen sich jedes Jahr je nach Lagerort des Whiskys zwischen 2 und 4 Prozent der Flüssigkeit aus dem Fass. Durst ist im Himmel also unbekannt. Nur die Schotten haben den Vorteil, dass sie ihre Eintrittskarte für den Himmel bereits mit teurem Alkohol und nicht mit billigem Wasser bezahlt haben. Das könnte ja irgendwann mal von Vorteil sein…

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