Nein, keine Bange. Der Baudoinia wird zwar mitunter auch Whiskypilz genannt, aber er ist nicht im Whisky zu suchen – oder zu finden – sondern vielmehr dort, wo Whisky produziert wird. Und auch das ist nicht unbedingt die volle Wahrheit, aber dazu später mehr. Im Augenblick ist der Baudoinia-Pilz in den USA ein wenig in die Schlagzeilen geraten, da der Pilz sein Wachstum dort scheinbar nicht mehr auf die Destillerien beschränkt. Vielmehr legt sich dort ein schmierig-rußiger, schwarzer Film auf Autos, Häuser und auch Gartenmöbel in der Nachbarschaft der dort ansässigen Destillerien.
Das Problem ist nicht neu, denn Baudoinia compniacensis – wie er mit Nachnamen auch heißt – ist nicht erst seit gestern aktiv. Es gab ihn schon lange, wahrscheinlich schon länger als den Menschen. Der Baudoinia-Pilz ist zwar für den Menschen höchstwahrscheinlich völlig harmlos, doch seine Sporen kommen – wie bei so vielen anderen Pilzarten – fast überall vor. Seine Entdeckung geht auf den französischen Apotheker Antonin Baudoin zurück, der sich schon 1872 über die schwarzen Flächen an Gebäuden von Destillerien nahe der französischen Stadt Cognac wunderte. Auch damals schon wuchs der Baudoinia auf Wänden, Dachziegeln, Baumstämmen und Zäunen.
Nachdem der Pilz mehr als ein Jahrhundert fast nicht weiter wissenschaftlich beachtet wurde, rückte er zum Ende des letzten Jahrhunderts wieder in den Fokus der Öffentlichkeit. Der Grund war aber nicht der Baudoinia selber, sondern Gesundheitsprobleme, die mit dem Wachstum von dunklen Pilzen in Gebäuden einher gingen, deren Bausubstanz durch Wasserschäden feucht geworden waren. Daraufhin wurde auch das großflächige Auftreten von rußartigem Pilzwachstum auf Gebäuden und Gegenständen rund um Destillerien wieder zum Thema und weckte Aufmerksamkeiten.
Man fand in diesem Zusammenhang (wieder einmal) heraus, dass der Baudoinia-Pilz besonders gerne dort gedeiht, wo die Luft feucht ist und besonders viel Alkohol in Gasform enthält. Das gilt heutzutage allerdings nicht mehr nur für die Gegend direkt rund um Brennereien von Whisky oder Cognac, obwohl man dem auftretenden Phänomen der Verfärbungen auch gerne vom ‚Warehouse Staining‘ oder von ‚Whisky Black‘ spricht. Im erweiterten Kreis der beliebten Wuchsgebiete befinden sich auch Bäckereien, was auf eine weitere Affinität des Pilzes bezüglich natürlichen Fermentierungsprozessen hinweist, und in der Nähe von Lagern für Autokraftstoffe, da diesen neuerdings ja Ethanol zugemischt werden.
Die Menschen, denen der Baudoinia nahe der Stadt Louisville im US-Bundesstaat Kentucky nun ein Dorn im Auge ist, dachten bei dem Grund für die Schwarzfärbungen ihres Hab-und-Guts zuerst an die allgemeine Luftverschmutzung oder das örtliche Industriegebiet. Doch Abwaschen half nur kurzzeitig und nach nicht allzu langer Zeit wurde sogar das Metall von Autodächern durch den Belag angegriffen und stumpf. Als Übertäter stellte man am Ende also den flüssigen Stolz Kentucky’s: den Bourbon Whiskey. Dieser wird in der Gegend destilliert und lagert dort in unvorstellbaren Mengen.
Wie schon erwähnt, wächst Baudoinia dort besonders gerne, wo sich viel gasförmiger Alkohol in der Luft befindet. Bei der langjährigen Lagerung von Whisky verdunstet ein Teil des Alkohols in den Holzfässern (Angel’s Share) und gelangt durch die porösen Wandungen der Fässer an die Außenluft. Geht man von durchschnittlich 3-4% verdampfendem Alkohol pro Jahr aus, macht das eine ganze Menge – auch wenn nur 1 ppm (parts per million) Alkohol in der Luft für das Wachstum des Pilzes ausreicht. Doch genau dieser erhöhte Alkoholanteil in der Luft macht die Gegenden um die Lagerhäuser hochprozentiger Destillate zum bevorzugten Brutgebiet des Baudoinia.
Die vom Pilz Betroffenen in Louisville haben mit dieser Kenntnis nun Anzeigen wegen Schädigung von Eigentum und Vernachlässigung bei Bundes- und Bezirksgerichten gegen 5 der großen Destillerien eingereicht, darunter Brown-Forman, Heaven Hill, Buffalo Trace und Jim Beam. Seit September meint der in Kentucky so umtriebige Anwalt auch für eine Klage in Schottland ausreichend Beweise zu haben und will mit Hilfe britischer Kollegen Sammelklagen Betroffener gegen Diageo & Co. einreichen, da der Baudoinia dort so verbreitet ist, dass er schon fast zur Architektur des Landes gezählt werden kann.
Dass solch eine Klage in Gebieten, in denen man auf die Einnahmen der Destillerien angewiesen ist und in denen der zugehörige Tourismus eine wichtige Einnahmequelle darstellt, nicht gut ankommt, versteht sich von selbst. Die Anklage will die Destillerien jedoch eigentlich nur dazu bringen, die Abgabe des Alkohols an die Luft zu verhindern. Der Anwalt der Klage sieht hierin weder eine Gefahr für den möglichen ökonomischen Gewinn der Destillerien noch für den Geschmack des lagernden Whiskys. Man könne sich dafür einer preisgünstigen Technologie bedienen, die bereits von der Weinindustrie in Kalifornien eingesetzt wird und den gasförmigen Alkohol in CO2 und Wasserdampf umwandelt.
Die Destillerien in Kentucky halten dagegen und argumentieren, dass sie nicht für natürliche Vorgänge haftbar gemacht werden können, die auf die eigenen Gebäude schon seit Jahrhunderten einwirken. Und auch die Scottish Whisky Association (SWA) hat bereits den Verdacht bestritten, dass es sich bei der Ursache für die Verfärbungen schottischer Häuser um Baudoinia bzw. die Whiskylagerung handeln könne. Immerhin seien die beklagten Schwarzfärbungen sowohl in Schottland als auch in England ein weit verbreitetes Phänomen, das jedoch nachweislich nicht an die Existenz einer Destillerie in der Nähe geknüpft sei.
Doch der Baudoinia macht mit seinem Wachstum nicht auf nährstoffreichen bzw. mineralischen Untergründen wie Mauersteinen oder Holz Halt. Auch auf Metallen von Autokarosserien, Hydranten oder Verkehrsschildern macht er sich breit; und das bis zu einer Meile von der Quelle des Alkohols entfernt.
Haben die Klagen Erfolg, stehen in Schottland Hunderte Millionen Pfund als Erstattungszahlung für Tausende von Grund- und Hausbesitzern im Raum. Allein in der zwischen Glasgow und Edinburgh gelegenen Gegend von Bonnybridge, in der Diageo riesige Lagerhäuser besitzt, sind demnach 4000 Häuser betroffen. Sieht man eine Wertminderung der Immobilien durch das Pilzwachstum von 20% als Grundlage einer Klage, ergäbe sich für Bonnybridge eine Erstattungssumme von 128 Millionen Pfund. Doch schon in 2009 wurde an gleicher Stelle vom Versuch einer Klage gegen Diageo abgesehen, nachdem die Organisation Health Protection Scotland (HPS) keine direkten Zusammenhang zwischen dem Pilzwachstum in und um Bonnybridge sowie den Tätigkeiten von Diageo sah.
Ich bin mal gespannt, wie dieser Streit ausgeht und ob die Destillerien in Kentucky und Schottland es wirklich zu Erstattungszahlungen in diesen Größenordnungen kommen lassen. Wenn sie schlau sind und die Klagen nur ein wenig Substanz enthalten, sollte man sich wenigstens auf einen Vergleich einlassen – sonst könnte unser Whisky bald noch viel teurer werden.