Bevor Missverständnisse aufkommen: Caperdonich wird nicht wieder auferstehen. Nachdem ich schon viel zur bewegten Geschichte von Caperdonich geschrieben habe, begebe ich mich nun auf eine Reise in die Zeit, in der die Brennerei in den 1960ern nach mehr als 60 Jahren aus ihrem Dornröschenschlaf erweckt wurde. In den National Archives des Vereinigten Königreiches fand ich hierzu eine alte Akte (Zeichen 37264/64), die viele interessante Informationen über den Bauantrag und die Erteilung der Brenngenehmigung enthält.
Ich will vorweg nehmen, dass die Arbeit der National Archives nicht gerade günstig ist. Und nicht völlig unkompliziert. Doch in meinen Augen haben sich die Ausgaben und die Mühen gelohnt. Ich fand nicht nur spannende Details zum Bauprojekt “Caperdonich Distillery” sondern auch Wissenswertes über die Zusammenarbeit von Brennern und Steuerbehörden aus dieser Zeit. Aber der Reihe nach…
Die Brennerei mit dem Namen Glen Grant #2, die 1898 als Erweiterung der Glen Grant Distillery errichtet wurde, wurde kurz nach der Jahrhundertwende bereits wieder stillgelegt. Die Brennerei diente in den folgenden Jahrzehnten als Ersatzteillager und Mälzerei für die nur einen (weiten) Steinwurf entfernte Brennerei Glen Grant. Als die Nachfrage nach Scotch Whisky in den 1960ern – speziell Italiener hatten Durst auf jungen Single Malt und gute Blends – stieg, überlegte man sich bei Glen Grant, wie man diese Nachfrage decken konnte.
Mehr Informationen über die Anfänge von Caperdonich gibt es hier: Caperdonich – der Ursprung
Nur wollte man den Single Malt von Glen Grant nicht unbedingt in Blends sehen und jungen Single Malt hätte man in größeren Mengen verkaufen können. Also beschloss man, Glen Grant #2 wieder in Betrieb zu nehmen und das Destillat von dort, das dem von Glen Grant trotz Unterschieden in den Brennblasen wohl ähnlich war, auf den Markt zu bringen. Dass das am Ende nicht klappte und Caperdonich vorwiegend in Blends verwendet wurde, steht auf einem anderen Blatt.
Von hier an nahm die Geschichte von Caperdonich ihren Lauf. Am 10. Juli 1964 schrieb der Geschäftsführer von J. & J. Grant, Glen Grant Ltd., Major Douglas MacKessack, an den Sachverständigen (Surveyor) Peter Jackson der britischen Steuerbehörde (H.M. Customs & Excise) in Rothes folgenden Brief:
Wie man sehen kann, hatte man sich zu diesem Zeitpunkt schon auf den Namen Caperdonich festgelegt. Anfang 1965 wollte man die Produktion dort wieder aufnehmen und 7.800 Gallonen Alkohol pro Woche mit einer Wash Still und einer Spirit Still produzieren. Und natürlich brauchte man ein Lagerhaus.
Surveyor Jackson leitete die Anfrage am 23. Juli 1964 an den lokalen Finanzbeamten (Collector) in Inverness, J.R. Campbell, weiter. Interessant ist hier die Aussage, dass Glen Grant #2 nach ihrer Errichtung 1898 nur ein oder zwei Jahre in Betrieb und bereits um 1900 (also nicht erst 1902, wie vielfach erwähnt wird) stillgelegt gewesen sein. Interessant ist auch, dass man sich zu diesem Zeitpunkt offensichtlich bereits Gedanken über eine Erweiterung der Brennerei und eine Verdopplung der Produktionskapazität gemacht hat. Diese Erweiterung wurde tatsächlich bereits 1967 Realität. Doch das ist noch Zukunftsmusik.
Der letzte Satz von Jackson führte allerdings gleich zu einem kleineren Aufruhr und etwas mehr Schriftverkehr. Er geht davon aus, dass es für die Caperdonich Distillery keine rechtliche Verpflichtung gibt, dem der Brennerei zugeteilten Steuerbeamten (Excise Officer) eine Unterkunft stellen zu müssen. Direkt am Tag nach Jackson’s Schreiben weist der stellvertretende Vorsitzende des Local Whitley Council (ebenfalls unter der Steuerbehörde arbeitend), K.A.J. Coombes, in seiner Antwort darauf hin, dass sowohl Gesetze und Bedingungen sich geändert hätten. Zudem sei in angemessener Entfernung von der Brennerei in Rothes keine geeignete Unterkunft zu finden, und es sei doch im Interesse des Brenners selber, dass der Beamte schnell vor Ort sein kann, so Coombes. Campbell und auch der stellvertretende Chefprüfer der Steuerbehörde (Deputy Chief Inspector), W. Louden, sehen das anders und verweisen darauf, dass bereits 6 andere Excise Officers in den 4 bestehenden Brennereien in Rothes eigenständig Unterkünfte gefunden hätten. Für die neue Brennerei sollten die gleichen Regeln gelten. Punkt.
Glen Grant Ltd. lässt am 14. September 1964 offiziell die Firma „Caperdonich Distillery Company Ltd.“ unter der Registernummer SC040951 eintragen.
Weiter geht es in Akte 37264/64 am 30. September 1964 mit einer Nachricht von Glen Grant Ltd., dieses Mal verfasst vom stellvertretenden Manager Smith, mit der Bitte an den Surveyor, die Low Wine Still und die Wash Still aus der bestehenden Brennanlage entfernen zu dürfen, um daran Veränderungen vornehmen zu dürfen. Dieser Bitte wird entsprochen, und die unter Aktenzeichen B.O. 11879/60 geregelte, jährliche Überwachung der seit Jahrzehnten stillgelegten Brennblasen von Glen Grant #2 wird eingestellt. Anfang Oktober bestätigt dann auch Collector Campbell die Gründung des neuen Unternehmens.
Am 28. Oktober 1964 erklärt Surveyor Jackson auf Anfrage aus dem Büro des Chief Inspectors, dass die Stills entfernt und zerlegt wurden. Die Brennblasen selber sollen beim alteingesessenen und renommierten Kupferschmied Grant in Dufftown überholt und angepasst werden. Blasenköpfe und alle Kleinteile befinden sich weiterhin in der Brennerei. Das Vorgehen wurde am 3. November 1964 von Deputy Chief Inspector Louden genehmigt, mit der Anmerkung, dass die Stills sich aktuell nicht in brauchbarem Zustand befinden und erst nach der Renovierung wieder unter die Aufsicht des Finanzamtes bei der neuen Brennerei kommen. Eine funktionstüchtige Brennblase muss am Ende des Tages ja schließlich Steuereinkünfte generieren, das Schlussprodukt ist dabei weniger interessant.
Collector Campbell bescheinigt Glen Grant Ltd. am 16. November 1964 dann, dass es gegen die Errichtung einer neuen Brennerei mit Lagerhaus in Rothes keine prinzipiellen Einwände gibt. Für eine vorläufige Genehmigung müssten jedoch noch detaillierte Pläne vorgelegt werden.
So weit, so gut, es konnte nun also endlich (um)gebaut werden – was offensichtlich etwas Zeit in Anspruch nahm.
Campbell besuchte die Brennerei am 19. März 1965 zusammen mit einem unabhängigen Sachverständigen (Unattached Surveyor) aus Rothes, F.J. Little, und dem Geschäftsführer von Glen Grant Ltd., Hugh Mitcalfe. Mitcalfe bat darum, die Brennerei so schnell wie möglich in Betrieb nehmen zu können, damit Funktionstests durchgeführt werden konnten, solange die an der Anlage arbeitenden Techniker sich noch in Rothes befänden. Er versprach, 24 Stunden täglich die Punkte zu verbessern, die auf einer Liste von notwendigen Anforderungen enthalten waren.
Die von Collector Campbell erwünschten Pläne wurden am 24. März 1965, zu einem Zeitpunkt, als Caperdonich also eigentlich so weit war mit dem Brennen beginnen zu können, von Surveyor Little zusammen mit einer sehr ausführlichen Beschreibung der Brennerei und ihrer Ausstattung auf 10 maschinengeschrieben Seiten der Akte hinzugefügt.
Die Beschreibung enthält den allgemeinen Herstellungsprozess bei Caperdonich und eine mehr als umfassende Darstellung aller Anlageteile, wie:
– Heat Tank (viereckiger Behälter, geschweißter Stahl, 12’ x 12’ x 10’3” tief, dampfbeheizt)
– Mash Tun (rund, oben offen, Gusseisen, 18’ Durchmesser und 5’6” tief, mit 12 Auslässen am Boden)
– Wash Back (4 Stück, zylindrischer Behälter, konischer Deckel, geschweißter Stahl, 13’ Durchmesser und 15’2” tief)
– Yeast Tank (rechteckiger Stahlbehälter, 6’ x 4’ x 5’)
– Wash Charger (rechteckiger geschweißter Stahlbehälter, 14.097 Gallonen Kapazität)
– Intermediate Wash Charger (rechteckiger geschweißter Stahlbehälter, 3.500 Gallonen Kapazität)
– Wash Still (herkömmliche Pot Still, gehörte zur ursprünglichen Glen Grant #2 Brennerei)
– Low Wines Still (Originalstill von Glen Grant #2)
– Steam Heating
– Purifier
– Condenser
– Spirit Safe (Messing, verlötet, 16 SWG (= 0.064” = 1.626mm))
– Low Wine & Feints Receiver and Charger (rechteckiger geschweißter Stahlbehälter, 16’6” x 11’ x 8’6” tief)
– Intermediate Spirit Receiver (rechteckiger Behälter, 6’ x 6’ x 4’9”)
– Spirit Receiver/Warehouse vat (zylindrischer Behälter, 13’ x 13’, ca. 10.590 Gallonen Fassungsvermögen)
– Office in Racking Warehouse
– Warehouse No.1 (zwei Abschnitte, 208’ x 80’ und 224’ x 51’8”)
– Revenue office (9’ x 10’ x 8’ hoch, in Examination Area)
– Main Excise Office (16’5” x 14’3” x 8’ hoch, in Racking Warehouse)
sowie diverse Angaben zu Ventilen, Pumpen, Waagen, Türen, Baustoffen und Bauteilen von Gebäuden
Wer sich für die genauen Details der Brennereibeschreibung interessiert, kann mir gerne eine Email schreiben. Ich schicke die entsprechenden Originalseiten gerne gegen einen kleinen Obolus zurück.
Weitere detaillierte Angaben und Beobachtungen wurden am 31. März 1965 vom unabhängigen Sachverständigen Holden (hatte Surveyor Little in der Zwischenzeit abgelöst) gemacht. Hierbei ging es im Wesentlichen um fragliche Punkte in Bezug auf die bauliche Sicherheit und die Sicherheit der Anlage gegen Manipulation und unerlaubte Entnahme von zu versteuernden Flüssigkeiten.
Holden war auch am Abend des 27. März 1965 zugegen, als die Wash Still zum ersten Mal befeuert wurde. Für den 28. März 1965 hatte er die Anlage soweit freigegeben, dass man einen Brennversuch mit Wasser durchführen konnte, um sie auf Dichtheit zu untersuchen. Bis auf ein paar kleinere Leckagen, die schnell behoben werden konnten, gab es nichts zu beanstanden. Am Abend des 28. März 1965 wurde auch die Low Wines Still in Betrieb genommen, und Holden konstatierte, dass die Anlage sicher und dicht war.
Collector Campbell schrieb am 2. April 1965 in einem Brief an den Honourable Commissioner von H.M. Customs & Excise, dass er die Brennerei am 30. März 1965 zusammen mit dem Sachverständigen Holden besucht habe und mit dem Status sehr zufrieden war. Jedoch sahen er und Holden es als unerlässlich an, den Intermediate Spirit Receiver auf ein höheres Niveau zu bringen, um das Risiko einer manipulierten Überflutung (und damit Steuerausfälle) gering halten zu können. Campbell machte den Betreibern von Caperdonich gegenüber auch deutlich, dass man trotz Inbetriebnahme der Brennerei immer noch Änderungen einfordern könne.
Kurz darauf, genauer gesagt am 26. April 1965, informierte Assistant Collector J. Thorne die Brennereibetreiber J. & J. Grant, Glen Grant Ltd. davon, dass eine vorläufige Brenngenehmigung erteilt wurde. Hurra!
Am 14. Mai 1965 wurden nach Angaben von Dennis Malcolm dann die ersten Fässer befüllt.
Danach beschäftigen sich die verschiedenen Parteien die nächsten Monate mit viel… tja… Kleinkram. Deckenventilatoren, Sicherheitsbolzen, Revisionsöffnungen, Miete für das Büro des Steuerbeamten (£70 pro Jahr), Geruchsbelästigung… und insbesondere Türschlösser; wann darf welche Tür zum Lagerhaus von wem geöffnet werden, und wann wird sie von wem wieder verschlossen, ohne dass jemand eingeschlossen wird oder dass unversteuerte Flüssigkeiten abhanden kommen können.
Nach Beendigung der letzten Arbeiten am Lagerhaus, die sich auch durch Planänderungen und damit verbundene weitere Diskussionen hingezogen haben, geht Surveyor Jackson am 25. Mai 1966, also mehr als 1 Jahr nach der vorläufigen Brenngenehmigung, ein letztes Mal ausstehende Punkte auf 4 maschinengeschriebenen Seiten gründlich durch. Er schließt sein Schreiben mit der Empfehlung ab, eine endgültige Betriebserlaubnis zu erteilen – immer noch vorbehaltlich der Befestigung von Türschlössern im Lagerhaus. Die gleiche Empfehlung sprechen auch Collector Thorne am 1. Juni 1966 und Deputy Chief Inspector Louden am 18. Juni 1966 aus.
Collector Thorne schreibt entsprechend (und endlich!) am 28. Juli 1966 an das Sekretariat von Glen Grant Ltd., dass die endgültige Betriebserlaubnis für die Brennerei erteilt wurde. Am 25. August 1966 gibt er ebenfalls seine Freigabe für das Lagerhaus “No. 1”.
Kommen wir aber noch einmal auf die vorläufige Brenngenehmigung vom 26. April 1965 zurück. Es gibt da eine Handvoll Caperdonich-Abfüllungen von Cadenhead, deren Flaschenlabel das Destillationsjahr 1965 tragen. Bei 3 dieser Abfüllungen steht sogar “May” (in diesem Fall) über der Zahl “1965”, bei einer steht dort “October”. Cadenhead hat also ein paar der allerersten Tropfen, die durch den neuen Spirit Safe von Caperdonich geflossen sind, erworben. Wahrscheinlich ist es jedoch so, dass man die Fässer erst nach ein paar Jahren Lagerung gekauft hat, nachdem die geschmackliche Katze nicht mehr im Sack war.
Auch Signatory Vintage hat(te) zwei Abfüllungen im Angebot, deren Inhalt schon am 11. Januar 1966 durch Caperdonich’s Stills lief – also ebenfalls lange vor der Erteilung der endgültigen Betriebserlaubnis – und in die Fässer 133 und 134 abgefüllt wurde, in denen das Destillat 30 Jahre und länger reifen durfte.
Wie auch immer, aus diesem Fässern wurde seinerzeit ein kleines Stück Geschichte in Flaschen gefüllt. Wie schade, dass diese Geschichte nach so kurzer Zeit schon wieder ein Ende gefunden hat.
Zum Abschluss noch ein paar Zeichnungen zum Umbau-Projekt “Caperdonich Distillery”:
Grundriss der Brennerei unterhalb der 1. Etage