Die Geschichte von Caperdonich ist mittlerweile wohl hinlänglich bekannt und oft erzählt. Über das hässliche Entlein und die Auferstehung im Jahre 1965 habe auch ich bereits ausführlich geschrieben – nicht nur um fehlerhafte Angaben anderer Erzählungen zu meiner Lieblingsbrennerei korrigieren zu können. Doch wo, wie und wann hatte die Brennerei eigentlich ihren Ursprung? Hierzu gibt es bisher nur spärliche und dazu zumeist ungesicherte Informationen.
Häufig wird berichtet, dass im Gebäude der späteren Caperdonich Brennerei seit 1897 bzw. seit 1898 Whisky produziert wurde. Auf das korrekte Jahr möchte ich zunächst noch nicht eingehen, denn ich möchte mit ihrem Ursprung weit früher beginnen. Genauer gesagt im Jahre 1840, als die Brüder John und James Grant, nachdem sie erste wertvolle Erfahrungen mit dem legalen Brennen von Whisky in Aberlour sammeln konnten, sich entschlossen, ihre erste eigene Brennerei in Rothes zu gründen: Glen Grant.
Der gewählte Standort bot eigentlich gute Voraussetzungen für das Brennen von Whisky. Die Ländereien um Rothes herum sicherten einen regelmäßigen Nachschub an Gerste und Torf, und die Nähe zum River Spey und dem Hafen in Garmouth bot eine gute logistische Anbindung. Schnell kamen die Brüder jedoch zu der Erkenntnis, dass weiteres Wachstum nur durch eine noch bessere Verkehrsanbindungen möglich war. Die Eisenbahn sollte die Lösung sein.
Generell war es damals so, dass viele Brennereibesitzer großes Interesse an der Eisenbahn hatten und an Bahngesellschaften oft auch finanziell beteiligt waren. Das Problem für Glen Grant war nur, dass man in den ersten Jahren nach der Gründung noch weit weg von jeglicher Gleisanbindung in der Region lag.
James Grant warb darum bereits 1841 für eine Bahnstrecke zwischen Elgin und der Hafenstadt Lossiemouth als Teil der Morayshire Railway. Diese Strecke wurde 1852 nach Überwindung vieler Widerstände endlich in Betrieb genommen. Es fehlte aber noch der Anschluss an Rothes. Dieser kam mit einer einspurigen Anbindung über den Umweg Orton im Jahr 1858, als auch der Bahnhof von Rothes mit einem kleinen Güterumschlaggleis an der Westseite der Strecke eröffnet wurde; in etwa dort, wo Glen Grant später Whisky brennen sollte. Die direkte Verbindung von Elgin nach Rothes (mit Erweiterung nach Craigellachie) wurde erst 1862 fertiggestellt, wobei die Grants den Bau dieser Teilstrecke mit £4500 (heute ca. 530.000 €) förderten.
Da es leider kein aussagekräftiges Kartenmaterial von Rothes vor 1871 gibt, muss ich eine genauere Antwort auf die Frage schuldig bleiben, wann die Station Street parallel zur Hauptstraße in Rothes, der New Street, angelegt wurde. Irgendwann zwischen 1858 und 1871 also. Gleiches gilt für die Errichtung des Gebäudes, das die spätere Brennereierweiterung von Glen Grant an der Station Street beherbergen sollte. Hierfür gibt es keine Karten zwischen 1871 und 1894. Vor 1871 gab es das Gebäude noch nicht. Auf der revidierten, aber wenig detaillierten Karte von 1894 ist dann ein Gebäude am nordöstlichen Ende der Station Street angedeutet.
1894 liegt noch ein gutes Stück vor der oft kolportierten Inbetriebnahme der Brennereierweiterung von 1897/98. Falls man überhaupt davon ausgehen will, dass das Gebäude von Glen Grant erbaut wurde. Denn: warum sollte eine Brennerei inmitten der Whisky-Hochkonjunktur, wie es sie in den 1890er Jahren gab, ein potentielles Brennereigebäude 3 Jahre und länger leer stehen lassen? Drei Zeitungsartikel aus dieser Zeit können darauf eine Antwort geben.
Im ersten Artikel im Elgin Courant von Mai 1899 steht etwas Interessantes zum Tod eines Mannes, ursprünglich ein Kornhändler, der 1868 Macallan kaufte (und 1892 an Roderick Kemp verkaufte) und 1876 mit 3 Partnern Glenrothes sowie 1882 mit einem weiteren Partner Glenspey gründete. Die Rede ist von James Stuart.
In 1894-95, in conjunction with Mr James Bowie, his late manager at Macallan, and Mr James Milne, he built and carried on successfully the Morayshire Malting Company at Rothes Station
Der zweite Artikel im Northern Scot von Juni 1896 liefert dann das fehlende Puzzlestück für die Verbindung des Gebäudes am nordöstlichen Ende der Station Street in Rothes mit der Brennerei von J. & J. Grant.
The Morayshire Malting Company have sold their Maltings in Station Street to Messrs J. & J. Grant, of Glengrant Distillery, by private bargain. The price paid is, we believe, about £5000
Der letzte Artikel von Mai 1893, ebenfalls im Elgin Courant erschienen, datiert den Ursprung des Gebäudes jedoch noch ein klein wenig länger in die Vergangenheit, als es der erste Artikel über James Stuart vermuten lässt. Ältere Aufzeichnungen über die Morayshire Malting Company in Rothes konnte ich leider (noch) nicht finden, um genauere Angaben zu machen.
Mr Milne now severs his connection with Macallan. He has been the late distiller’s clerk for six years. He now takes the place of acting manager of the Morayshire Malting Company. This company has started building at Rothes, and hope to make malt before the next distillery season
Fassen wir die Zeitungsartikel und die ersten Erkenntnisse zum Ursprung der späteren Caperdonich Brennerei also kurz zusammen:
Die Grants haben das Gebäude, in dem ihre Brennereierweiterung später liegen sollte, nicht selber errichtet. Es wurde um 1893 von der Morayshire Malting Company erbaut und fungierte in den ersten Jahren als Mälzerei. Seine Lage zwischen Station Street und Bahnhof und nur einen Steinwurf von den ursprünglichen Brennereigebäuden entfernt machte es logistisch jedoch so interessant, dass J. & J. Grant es im Juni 1896 für £5000 kauften (heute ca. 660.000 €).
Wie die recht grobe Karte von 1894 zeigt, war die Mälzerei der Morayshire Malting Company eher bescheiden dimensioniert. Sie steht in keinem Vergleich zu dem Gebäude, das auf der nächsten verfügbaren Karte von 1902 eingezeichnet ist. Die Grants müssen über den stattlichen Kaufpreis hinaus noch einmal tief in die Tasche gegriffen haben, um aus der Mälzerei eine Brennerei zu machen. Warum, wenn man sicherlich für weniger Geld die bestehende Brennerei hätte ausbauen können? Die Investitionen können also kaum mit dem erworbenen Gebäude als solchem sondern eher mit seiner Lage gerechtfertigt werden.
Leider, leider, leider kann man im Archiv des Moray Council die Baupläne aus dem Jahr 1896 nicht finden, die genau diesen Umbau beschreiben sollten.
Quelle: National Library of Scotland, CC-BY (NLS)
Vom November 1896 ist dann eine Absprache zwischen dem Moray County Council und J. & J. Grant überliefert, wonach die Brennerei 25 Fuß über der New Street ein Rohr verlegen durfte, mit dem in der Erweiterung hergestelltes Destillat in den alten Teil der Brennerei gefördert werden konnte; eine erste Erwähnung der berühmten “whisky pipe” in Rothes.
Diese Absprache bedeutet aber nicht, dass die Erweiterung von Glen Grant auch 1896 oder – nach Umbau der Mälzerei und Anschaffung einer kompletten Brennereiausstattung – vielleicht 1897 in Betrieb gegangen ist. Hierzu ist ein Bericht der Polizeikommission von Rothes vom März 1898 überliefert, in dem es James Cumming, Manager von Glen Grant zu dieser Zeit, erlaubt wird, die Brennereierweiterung für einen jährliche Abgabe von £5 an die alte Wasserversorgung anzuschließen. Diese Regelung sollte am 29. Mai 1898 (Pfingstsonntag) in Kraft treten.
Da man ohne Wasser jedoch nur schlecht destillieren kann, gab es vor Pfingsten 1898 folglich auch noch kein Destillat aus der neuen Brennerei. So ich denn den Bericht richtig verstanden habe, lege ich mich für die Inbetriebnahme von Glen Grant #2 auf das Jahr 1898 fest. Welches sich im Übrigen auch mit Erinnnerungen von Dennis Malcolm deckt.
Weitaus schwieriger wird es allerdings, Information über die Brennereierweiterung für die Zeit nach 1898 zu finden. Es bleiben viele Fragen offen. Wo kamen beispielsweise die Brennblasen und die weitere Ausstattung für die neue Anlage her? Wie viele Liter konnte man darauf brennen? Wie lange wurde nach dem Platzen der Pattison-Blase noch gebrannt? Und waren die Pattisons überhaupt der Grund für die Schließung, wie so oft behauptet wird?
Brennblasen hat man während der damaligen Whisky-Hochkonjunktur und der Errichtung von etlichen anderen Brennereien in der Gegend (Aultmore, Benriach, Glendullan, Speyburn…) sicher nicht an jeder Straßenecke kaufen können. Deren Lieferung sollte ein wenig Vorlaufzeit in Anspruch genommen haben, zumal Glen Grant besondere Wünsche hatte: man wollte in der Erweiterung ja ein ähnliches Destillat herstellen wie auf den schon vorhandenen Stills.
Dass man an diesem Plan nicht konsequent festhielt, mag ein Indiz für die Schwierigkeiten sein, damals an passende Brennblasen zu kommen. Für unwahrscheinlicher halte ich es, dass man sich bei Glen Grant nicht über die Bedeutung der Ausstattung für den Geschmack des Destillates im Klaren war. Jedenfalls verwendete man für beide Anlagen am Ende zwar identische Rohstoffe, jedoch wiesen die Brennblasen einige Unterschiede in ihrer Form insbesondere im Bereich des Halses auf. Ebenso wurde bei Glen Grant das Destillat aus dem einen der zwei Blasenpaare mit Worm Tubs gekühlt. Diese Kondensationsspiralen gab es in der Erweiterung nicht.
Eventuell gab es ja damals schon eine Zusammenarbeit zwischen Glen Grant und den Morayshire Copper and Brass Works von Robert Willison in Rothes, bei denen in den 1890er Jahren ein gewisser Alexander Forsyth als Lehrling unter anderen die Herstellung von Kupferkesseln erlernte?
Willison und seine Mitbewerber waren zu dieser Zeit auf jeden Fall sehr aktiv mit der Herstellung von Brennblasen in und um Rothes. Hierzu eine kleine (und nicht erschöpfende) Übersicht wann wer (ungefähr) an welche Brennereien geliefert hat:
- Robert Willison (Alloa & Rothes)
Glenisla (1892), Longmorn (1894), Speyside (1895), Auchinblae (1896), Ardmore (1898), Millburn (Erweiterung 1899) - Stewardson & Co (Edinburgh & Elgin)
Glenfarclas (Erweiterung 1897), Tamdhu (1897), Glendullan (1898), Knockando (1899) - John Miller & Co (Glasgow)
Convalmore (1894), Parkmore (1896), Glen Cowdor (1897), Glentauchers (1898), Speyburn (1898)
Zur Kapazität der Anlage könnte man Rückschlüsse aus der Bauanfrage für die Wiederinbetriebnahme der alten Brennerei aus dem Jahre 1964 ziehen. Major Douglas MacKessack schrieb dort, dass man plant, 7.800 Gallonen Alkohol pro Woche (ca. 35.500 Liter) zu brennen. Da sich zu diesem Zeitpunkt immer noch die gleichen Brennblasen im Gebäude befanden wie zur Jahrhundertwende, sollte sich die ursprüngliche Kapazität in der gleichen Größenordnung bewegen.
Für die Beantwortung der Frage nach dem “wie lange” gibt es allenfalls Anhaltspunkte. Wie Surveyor Jackson zu Beginn der Bearbeitung der Bauanfrage von 1964 erwähnt, war Glen Grant #2 nur ein oder zwei Jahre nach seiner Inbetriebnahme (1898… wie schon erwähnt) aktiv. Sprich: schon spätestens ab 1900 blieben die Kessel dort kalt. In einem Zeitungsartikel im The Scotsman von 1967 ist wiederum von einer Stilllegung im Jahre 1901 die Rede. Allerdings sollte man mit dieser Aussage vorsichtig sein, denn im gleichen Artikel steht, dass die Brennerei schon 1897 in Betrieb ging. Hier tappen wir also weiter im Dunkeln, wobei nur die häufig – und offensichtlich fälschlich – genannte Jahreszahl 1902 endgültig senkrecht archiviert werden kann.
In den “Wine and Spirit Trade Records” vom Januar 1962 gibt es schlussendlich eine überraschende Antwort auf die letzte Frage: Nein, die Pattisons waren nicht der (eigentliche) Grund für die Schließung von Glen Grant #2. Generell waren Brennereien in der Speyside und den Highlands weit weniger von den Auswirkungen der Pattison-Krise betroffen als solche in den Lowlands, wie in den wenigen Zeitungsartikeln, die zu jener Zeit in der Speyside und ihrer Umgebung zu diesem Thema erschienen sind, zu lesen ist.
Vielmehr wird in den “Trade Records” darauf hingewiesen, dass das Destillat aus den neuen Brennblasen zwar gut war, aber nicht dem Standard von Glen Grant entsprach. Das Destillat aus der neuen Erweiterung schmeckte einfach anders als das Original. Man meinte, dass es deswegen unter dem Namen “Glen Grant” auch nicht zu verkaufen war. Nach der ersten Enttäuschung versuchte man noch ein oder zwei Jahre das Ergebnis zu verbessern – wahrscheinlich auch durch kurze Lagerung in Fässern -, aber am Ende stand der Entschluss die Erweiterung zu schließen.
Egal ob die Schließung nun 1900 oder 1901 erfolgte, bleibt am Ende die Frage, ob Whisky von Glen Grant #2 dereinst überhaupt das Gelände der Brennerei verlassen hat. Die verfügbaren Quellen legen es jedenfalls nicht nahe, dass die Kapazität der neuen Anlage über einen längeren Zeitraum ausgenutzt wurde. Wenn man bei Glen Grant mit der Qualität des Destillates nicht zufrieden war, hat man sicherlich nicht allzu viele Fässer damit befüllt. Und wenn, dann in der kurzen Arbeitszeit der Anlage nur zu Testzwecken und nicht mit der Absicht, den Whisky in größerem Stil verkaufen zu können.
Wäre dem wirklich so, bin ich geneigt zu behaupten, dass Caperdonich seinen Ursprung nicht schon im Jahr 1898 hatte, sondern erst nach dem erneuten Umbau der Gebäude im Jahr 1965. Brennen kann man viel, aber erst wenn man das Produkt nach seiner Reifung auch erfolgreich verkaufen kann, wird für mich daraus Whisky. Und eine Whiskybrennerei zu einer Whiskybrennerei.