Dieser Tag sollte vom Papier her der härteste für Kai und mich werden. Bowmore hatte seinen Open Day und wir hatten dort zwei Tastings gebucht, das erste davon schon um 9.30 Uhr. Für den Abend hatte Michael eine private Führung bei Ardbeg für unsere Reisegruppe arrangiert. Mit Jackie Thomson, der Chefin vom Visitor Center bei Ardbeg. Ein kleines Highlight bei unserem Besuch des Feis Ile. Aber dazu später mehr.
Es sollte aber auch der Tag des schlechten Gewissens für mich sein, vergnügte ich mich doch mit Kai in schottischen Brennereien, anstatt meinen Hochzeitstag zusammen mit meiner (sehr verständnisvollen) Frau zu feiern.
Nachdem Jan uns auch an diesem Morgen auf seine nette Art geweckt hatte, gab es mit Rührei, Black Pudding, Müsli und und und wieder eine handfeste Grundlage für den kommenden Tag. Ich bin mir im Nachhinein eigentlich gar nicht so sicher, ob wir auf der Reise mehr getrunken oder gegessen haben. Auf jeden Fall sind wir zur Kompensation viel gelaufen. Die Idee, die Strecke von Port Ellen nach Bowmore an diesem Morgen zu Fuß zurückzulegen, haben wir in unseren Planungen allerdings ganz schnell verworfen. Auch wenn das Wetter wieder untypisch gut war, fuhr schließlich um kurz nach 8 ein Bus, der uns stressfrei und pünktlich zu unserem ersten Tasting bringen sollte. Der erste Bus, der an der Haltestelle vor dem lokalen Spar-Laden anhielt, wollte uns bloß nicht mitnehmen. Es war ein Schulbus, in dem jedoch jede Menge Platz war. Der zweite Bus – endlich unser regulärer Linienbus Linie 451 – kam 5 Minuten später und drin saßen jede Menge Schüler, die zur Islay High School in Bowmore wollten. So ist das eben auf Islay…
Egal, wir kamen früh genug in Bowmore an und gingen die School Street runter zur Brennerei. Die Brennerei hatte für ihren Open Day annonciert, dass die ersten 100 Besucher des Tages ein Golden Ticket bekommen würden, das sie dazu berechtigte, eine Flasche der 25-jährigen Festival-Abfüllung (die Claret-Lagerung für 175 Kilo) zu kaufen. Es gab insgesamt nur 200 Flaschen davon, ein echte Investition also. Da wir es nicht besser wussten, stellten wir uns in die Schlange vor dem Visitor Center und warteten auf 9.30 Uhr und den Beginn unseres Tastings. Wären wir ins Visitor Center gekommen, hätten wir sicher auch so ein Golden Ticket genommen. Wären. Sind wir aber nicht.
Als die Türen zum Center kurz vor halb 10 immer noch nicht geöffnet waren, sprachen wir einen der herumirrenden Mitarbeiter von Beam Suntory an, wo wir uns denn zu unserem Tasting anmelden könnten. Wusste er nicht, er konnte uns nur sagen, dass das Visitor Center erst um 10 Uhr öffnen würde. Neues Gesetz in Großbritannien bla bla bla. Auch dass wir unsere Tickets für das Tasting in dem Gartenpavillon abholen mussten, der gerade am Eingang zur Brennerei aufgebaut wurde, erfuhren wir nur durch Zufall.
Dann kamen irgendwann ein paar Leute mit Schildern aus dem Visitor Center, die den Treffpunkt für die ersten Tastings und Führungen markieren sollten. Unser Tasting war nicht dabei. Aber wir sollten uns doch einfach dazu stellen, das richtige Schild würde bestimmt bald kommen. Und die Golden Tickets, die es ja nun nicht vor 10 Uhr geben sollte? Jaaaa, da müssten wir wohl wählen: Tasting oder Ticket. Und überhaupt seien die Golden Tickets doch schon alle weg, weil am Vorabend schon so viele Leute angestanden hatten.
Nee, is’ klar. Aus irgendeinem Grund habe ich in diesem Moment nach der versteckten Kamera gesucht…
Aber hey, nur kein Stress. Unser Schild kam auch, getragen von Mark O’Hara, Blending & Inventory Manager bei Beam Suntory. Wir machten uns auf den Weg quer durch die Gebäude der Brennerei zu unserem Tasting mit dem geheimnisvollen und vielversprechenden Namen “Unlock the hidden depth”. Auf dem Weg gesellte sich auch Eddie MacAffer zu uns, Master Distiller und ehemaliger Distillery Manager von Bowmore. Es ging rein in die No. 1 Vaults, begleitet von einem betörenden Geruch, den Schottlands Engel so gerne mögen. Dort mussten wir im Halbdunkel noch ein paar Holztreppen rauf bis Etage D, vorbei an Hunderten von lagernden Eichenholzfässern. Oben angekommen, warteten Holzfässer auf uns, die als Tische unter den 4 Drams standen, die wir in dieser einmaligen Atmosphäre probieren durften. Ganz großes Kino. Das war die Auswahl des Morgens:
- 14yo Mashmen’s Selection (1999-2013, American Oak Barrels, 55,7%)
- Devil’s Casks III (2015, 1st Fill Oloroso + Pedro Ximénez Sherry Casks, 56,7%)
- 16yo Wine Cask (1992-2008, Bourbon & Limousin Bordeaux Wine Cask, 53,5%)
- 23yo Port Cask Matured (1989-2013, 50,8%)
Die Drams waren ausnahmslos aller Ehren wert, keine Frage. Sie gaben einen feinen Überblick über die Möglichkeiten, die einem die Lagerung in verschiedenen Fässern bietet. Dennoch war ich enttäuscht, dass uns für einen stolzen Preis von 45 Pfund “nur” Abfüllungen präsentiert wurden, die teilweise noch im Handel bzw. bei der Brennerei selber erhältlich sind. Das ließ sich für mich auch in keiner Weise mit dem Namen des Tastings “Unlock the hidden depth” verbinden. Nun ja, immerhin passte der Rahmen des Tastings und sowohl Mark als auch Eddie machten es zu einem Erlebnis.
Wieder an der frischen Luft quatschten wir noch ein wenig mit ein paar anderen Deutschen, die auch in einschlägigen Whiskyforen unterwegs sind und unter anderem auf Islay ein Guesthouse (St. Marys Cottage) betreiben. Es ist doch schön, dass man sich so toll austauschen kann, selbst wenn man sich gar nicht kennt.
Der positive Aspekt dieses Open Day bei Bowmore war sicherlich, dass man sich nahezu überall ungezwungen umsehen konnte. Wir nutzen die Zeit bis zum nächsten Tasting daher auch für ein paar Fotos von der Brennerei (Kai machte wieder ausgiebig Gebrauch von der Panoramafunktion seiner Kamera) und ihrer Ausstattung. Zwischendurch gab es noch eine Pizza (mit Haggis… sehr lecker!) zur Stärkung sowie einen Dram der Small Batch Standardabfüllung. Einer guter Tropfen für kleines Geld.
Um 12.30 Uhr trafen wir uns wieder mit den anderen Seglern zum nächsten Tasting. “Last Drop Legendary Duty Free” hieß es. Diese letzten Tropfen aus vergangenen Duty-Free-Abfüllungen gab es auf den kalten Mälzböden der Brennerei:
- 12yo Enigma (2007, Sherry Cask, 40%)
- 15yo Mariner (2009, 43%)
- 17yo Distiller’s Choice (2012, 43%)
- 100 Degrees Proof (2012, 57,1%)
Gut, der Name des Tastings ließ von vornherein erwarten, dass ich ein paar der Abfüllungen kennen konnte. Aber was war daran legendär? Und warum muss das Tasting gleich 30 Pfund kosten? Ziemlich überzogen, wenn ich das mal so unverblümt anmerken darf. Zudem wirkte der präsentierende Brand Ambassador eher so, als spulte einfach sein Pensum ab. Das war es sicher nicht wert.
Draußen ging das Fest jedoch weiter. Insgesamt herrschte beim Open Day von Bowmore eine lockere und gute Stimmung. Die Sonne schien, es gab leckeres Essen und Trinken (zwischendurch kaufte ich mir noch ein paar Scallops (Jakobsmuscheln) mit Bowmore-Sauce) sowie Musikeinlagen von der Lastwagenbühne. Trotz dieser guten Rahmenbedingungen war das Gelände nicht überfüllt, obwohl ich wesentlich mehr Chaos erwartet hätte. Aber es war gut, so wie es war.
Irgendwann tippte mir jemand von hinten auf die Schulter. Er hatte mein Forums-Poloshirt erkannt und wollte wohl gerne sehen, welchem “Fuchs” er ein paar Monate zuvor unbekannterweise ein einmaliges Samplepaket mit wirklich exquisiten Abfüllungen hat zukommen lassen. Es gab wieder ein sehr nettes Gespräch mit einem gleichgesinnten Malthead. Wie ich schon sagte, es ist toll, wenn man über ein gemeinsames Hobby in Kontakt kommen kann.
Die Fahrt mit dem Kleinbus zurück zum Schiff war für 16 Uhr angesetzt. Das ließ Kai und mir noch ein wenig Zeit für einen Stadtbummel. Wir gingen rauf zur Kilarrow Parish Rundkirche, die seit 1769 über Bowmore und dem Loch Indaal thront. Ein sehr malerischer Anblick in der Sonne. Am Kleinbus angekommen, stellte sich aber heraus, dass irgendwas ein wenig schief gelaufen war mit der Aufteilung der Reisegruppe auf die zwei Fahrten. Um 16 Uhr standen 9 Fahrgäste vor dem Kleinbus mit 8 Sitzplätzen. Pragmatisch denkend fragte unser Fahrer Alastair, ob nicht jemand im Kofferraum mitfahren wolle. Klar, wollte ich immer schon mal machen. Und es war gar nicht mal so unbequem. Auf der High Road zwischen Bowmore und Port Ellen hielten wir noch kurz an einem Torffeld an, um ein paar Bilder vom gestochenen Torf zu schießen.
Wieder zurück am Schiff warteten wir bei einem kühlen Bier vom Fass auf die zweite Fuhre Segler aus Bowmore. Die Abendführung bei Ardbeg sollte um 18.15 Uhr beginnen. Michael hatte noch ein paar Taxis und Busse für die Fahrt nach Ardbeg bestellt. Das erste Taxi und ein Kleinbus waren zwischenzeitlich schon abgefahren und wir warten an Deck mit 4-5 Leuten auf die letzte Fahrgelegenheit. Irgendwann kam ein Taxi vorgefahren und fuhr langsam wieder weg. Wir wunderten uns und wie Michael hören musste, fuhr der Fahrer einfach weiter, weil niemand am Pier gestanden hatte. So ist das eben auf Islay…
Wir kamen aber alle rechtzeitig zur Führung und bekamen direkt mal einen Ardbeg TEN (ich glaube, dass er das war…) serviert. Jackie begrüßte uns auf ihre unnachahmliche und herzliche Art und brachte uns im Visitor Center die Geschichte von Ardbeg näher – mit allen Händen und Füßen. Die eigentliche Tour begann schon mit zwei Höhepunkten. Wir bekamen Single Cask Abfüllungen aus den Jahren 1973 (Cask 1146) und 1974 in ein Tastingglas geschenkt und durften alle einmal davon nippen. Wie viel sind 5cl geteilt durch 19? Egal. Es ist immer wieder ein Wahnsinn zu erleben, was Ardbeg damals in Flaschen gefüllt hat, selbst wenn man nur homöopathische Mengen davon bekommt. Ich hatte parallel zu diesem “Tasting” kurz gegoogelt und fand beide Abfüllungen noch bei Händlern im Netz, für ca. 2000 Pfund das Stück. Unglaublich!
Die Führung wurde von Jackie ebenso lebhaft weitergeführt wie sie begann. Diese Frau kennt keine Pause. Vorbei an der Getreidemühle, auf die man bei Ardbeg sichtlich stolz ist, und den Maischetanks kamen wir zu den Wash Backs. Hier durften wir alle die unvergorene Maische sowie das “Bier” probieren, dass am Ende des Fermentierungsvorganges destilliert wird. Es ist erstaunlich, was so ein wenig Hefe mit der Zeit aus so viel Maische machen kann. Was wir zu probieren bekamen, war zwar nicht unbedingt lecker, aber es war eine nette Erfahrung. Dazu gab es noch einen Kildalton in der neueren Version, diesmal aber für jeden von uns in einem eigenen Tastingglas.
Nach einem kurzen Abstecher in das Still House der Brennerei landeten wir wieder im Visitor Center. Hier stand ein nettes Line-Up an Abfüllungen für uns bereit, die uns Jackie präsentierte. Mit dabei waren die Festival-Abfüllung des Dark Cove, der Galileo und der Rest vom Kildalton, wenn ich mich recht erinnere. Nach ausgiebigem Probieren landeten ein Rest vom Galileo (das war eigentlich nur ein Versehen… in hatte am Ende eines langen Tages einfach zur falschen Flasche gegriffen) und die Dark Cove Festival-Abfüllung in meinen Sampleflaschen. Letzterer hat mir übrigens gut gefallen. Er ist recht einfach gestrickt, aber durchaus (gefährlich) gefällig.
Da die beiden Kleinbusse, die uns abholen sollten, schon voll und auf dem Weg zurück zur “Flying Dutchman” waren, nahm Jackie uns 3 verbleibende Mohikaner in ihrem Auto mit nach Port Ellen. Die kurze Fahrt war ähnlich wie ihre Führung: sehr lebendig.
Das war ein ausgesprochen ereignisreicher Tag. Der Beginn war zwar verhalten, aber das Ende bleibt unvergesslich. Mein großer Dank dafür (auch) an Jackie!