Whiskyreise – Teil 4: Überraschungen

Schottlands Landkarte in NationalfarbenMein (vorläufig) letzter Tag in Schottland begann diesig und regnerisch. Es war das komplette Gegenteil vom Tag zuvor. Vielleicht war der Himmel traurig, weil ich wieder nach Hause musste? Ich hätte auf die Trauer verzichten können, weil ich ja noch ein paar hundert Meilen zurück nach Edinburgh fahren musste. Fahren im Regen macht mir generell nur wenig Spaß. Ich hatte aber keine andere Wahl.

Meine erste reelle Wahl des Tages hatte ich beim Frühstück. Noch relativ gemästet von Abendessen am Tag zuvor, wollte ich heute gerne mit etwas Leichterem in den Tag starten als mit einem Full Scottish. Ich schaute mir heute also auch die Rückseite des Frühstücksmenüs an – und bestellte wieder das Full Scottish von der Vorderseite. Nicht, weil ich den Hunger dafür hatte, sondern weil mich die Gerichte auf der Rückseite für einen Urlaub in Schottland einfach nicht angesprochen haben. Pochiertes Irgendwas kann ich auch zu Hause bekommen.

Solange ich keine Antwort von Dennis Malcolm auf meine Email vom Vortag bekommen hatte, wollte ich die Westroute von Rothes via Forres, Grantown-on-Spey und Pitlochry nach Edinburgh fahren. Hier hätte ich zwei weitere Brennereien besuchen können, die ich bisher noch nicht gesehen hatte. Sollte Dennis etwas arrangieren können, wollte ich diesen Plan aber über Bord werfen und in Rothes bleiben oder kurzfristig dorthin zurück fahren.

Bis zu dieser Entscheidung hatte ich aber noch ein wenig Zeit. Meinen ersten Stopp hatte ich nur ein paar Meilen südlich von Forres geplant. Die Brennerei ist noch recht neu und produziert erst etwas länger als ein Jahr. Die Rede ist von der Dunphail Distillery, und es war die erste Überraschung des Tages.

Ich kam noch vor der Öffnungszeit der Brennerei dort an, damit der Rest des Tages nicht allzu hektisch wurde. Kurz gecheckt, ob Dennis geantwortet hatte. Nein, hatte er leider nicht. Eigentlich wollte ich hier auch nur ein paar Bilder knipsen, weil ich wusste, dass diese neue Brennerei – wenngleich neu – sehr schön war, und ich eben viel zu früh für eine Führung dort war. Als ich in leichtem schottischen Regen vom Parkplatz zur Brennerei ging, sah ich zwei Männer im Produktionsgebäude. Ich winkte kurz freundlich und der eine der beiden winkte zurück.

Vor dem Gebäude angekommen, schloss der andere Mann eine Tür in der weiten Glasfassade auf, sagte mir, dass ich zu früh dran war, und fragte, was ich denn wollte. Ich antwortete, dass ich nur ein paar Fotos machen wollte, wissend, dass ich früh dran war, aber dass ich nun erst einmal nur nass werden würde. „Come on in“ war die Antwort von Mike, dem Manager des Visitor Centers. Ich sagte nicht nein.

Darauf folgte eine der besten Brennereiführungen… nein, wohl eher DIE beste, die ich jemals mitgemacht hatte. Ungeplant und völlig authentisch. Nur für mich. In einer der imponierendsten und komprimiertesten Brennereien, die ich bisher besuchen durfte. Es ging so weit, dass ich zwischendurch anmerkte, dass, falls Bedarf bestünde, ich gerne meine Bewerbung abgeben würde. Ich weiß gar nicht, was mich am meisten beeindruckt hat. Die Freundlichkeit der Mitarbeiter, die Brennerei und deren geniale Planung trotz Platzmangels (alles passte in einen alten Kuhstall), die komplette traditionelle Produktion vor Ort vom Mälzen bis zur Lagerung oder einfach nur der reine Duft von Wash und New Make, der meine Nase gefühlt bis zum Edinburgh Airport begleitete.

Dunphail Distillery Dunphail Distillery Malting Floor Dunphail Distillery Washbacks

Ich weiß jetzt auch nicht, wo ich mit den Details und Fakten anfangen sollte, die Mike alle nannte. Feuchtegehalt der Gerste, Darrzeit im Kiln, Hefemengen, Temperaturen… das konnte ich gar nicht alles behalten. Hier also nur der grobe Rest, der hängengeblieben ist. Die lokale Gerste mälzt man selber. Der Rechen zum Wenden der Gerste ist von einem Mitarbeiter geschmiedet. Der Torf, so denn verwendet, ist aus der Umgebung. Das Gebäude zum Mälzen und Trocknen der Gerste ist ein Neubau, der im Stil der ursprünglichen Altgebäude erbaut wurde – alle mit Solarzellen auf ihren Dächern. Die Gebäude und die technische Ausrüstung wurden im Übrigen von Dunphail-Gründer Dariusz Plazewski spezifiziert, der in London auch die Bimber Distillery betreibt.

Alle weiteren Schritte bis zum New Make werden in dem erwähnten, umgebauten Kuhstall ausgeführt. Der Boden des Stalls wurde ausgegraben und abgesenkt, um so Platz für die diversen Tanks, Bottiche und Brennblasen zu schaffen. Gemaischt werden ca. 5000 Liter per Batch. In den 12 hölzernen Wash Backs wird jedes Batch 168 (!) Stunden lang fermentiert – ohne Deckel! Der Natur wird damit freier Zugang zu den Wash Backs gewährt. Das könnte also auch saisonale Unterschiede mit sich führen.

Dunphail Distillery Stills Dunphail Distillery Washback and Stills Dunphail Distillery Warehouse

Zwei Wash Stills kümmern sich danach um das Ergebnis des Gärungsprozesses. Die Spirit Still ist baugleich zu den Wash Stills. Alle 3 haben sehr dünne und sehr steile Lyne Arme, was dem lange fermentierten Wash etwas mehr Kante geben soll. Der Ertrag an New Make liegt bei „nur“ 300 Litern pro Batch. Das ist wenig, etwas mehr als die Füllmenge eines Fasses oder hochgerechnet ca. 100.000 Liter pro Jahr. In näherer Zukunft soll der Ausstoß noch verdoppelt werden. „Head“ und „Tail“ werden ohne Computerkraft vom „Heart“ getrennt. Das funktioniert hier noch mit handgemessenen Alkoholprozenten und subjektiven Geschmackseindrücken.

Der Whisky reift schließlich in einem Lagerhaus auf dem Gelände der Brennerei, vornehmlich in Barrels und Hogsheads. Mike geht davon aus, dass Dunphail seinen ersten Whisky in einem Alter von 4 Jahren abfüllt, voraussichtlich zum Speyside Festival 2028. Bis dahin wird man, im Gegensatz zu so vielen anderen neuen Brennereien, nicht auf Einnahmen aus dem Verkauf von Gin setzen, sondern man füllt Whisky anderer Brennereien in der Serie „The Dava Way“ ab und verkauft diesen.

Im Visitor Center stand dann eine einsame, letzte Flasche eines 22-jährigen Single Malts aus der Glendullan Brennerei aus dieser Serie herum (WBID 250117), die ich einfach mitnehmen musste. Zum einen, weil der Preis stimmte, zum anderen, weil man nicht so häufig etwas von dieser Brennerei bekommt, und zum dritten, weil ich Dunphail nach so einer netten (und kostenlosen) Privatführung nicht nur mit einem feuchten Händedruck verlassen wollte. Das wollte ich Mike und Tabitha, die zwischenzeitlich auch angekommen war, irgendwie anrechnen. Ach ja, ich bekam von Mike auch noch ein Sample des New Makes, der in der Nase einen sehr reinen und fruchtigen Eindruck machte. Ich freue mich auf mehr von dieser Brennerei.

Zurück beim Auto verstaute ich meinen einzigen Whiskykauf auf dieser Reise in meinem Koffer und sah noch einmal nach, ob es etwas Neues von Dennis gab. Immer noch nicht. Schade, aber nicht zu ändern. Also machte ich mich wieder auf den Weg weiter nach Süden. Mein nächstes und letztes Ziel vor dem Flughafen sollte Aberfeldy sein. Nachdem ich am Anfang das „Home of Chivas“ besucht hatte, sollte es am Ende das „Home of Dewar’s“ sein.

100 Meilen sollte die Fahrt lang sein und 2 Stunden und 10 Minuten dauern. Erst vorbei am Dava Moor, dann durch Grantown-on-Spey und westlich entlang des Cairngorms National Parks. Später noch Dalwhinnie gesehen und Pitlochry links liegen gelassen. Google überschätzte die Fahrtzeit dieses Mal sogar und ich kam nach schon nach knapp 2 Stunden in Aberfeldy an. Und das ohne zu Geschwindigkeitslimits zu überschreiten! Durch eine phantastische Landschaft fährt man dort. Selbst in einem Corsa und bei echt schottischem Wetter bemerkt man das.

Die paar Minuten Freizeit bis zur gebuchten Tour nutzte ich, um mir den Außenbereich der Brennerei etwas anzusehen und im Café einen Scone mit Beeren zu essen. Von außen sieht Aberfeldy ein wenig zusammengewürfelt aus. Das altehrwürdige Bruchsteingebäude mit Café und Shop (früher das Grain Loft) sowie Kiln steht doch in starkem Kontrast zum angebauten Stillhouse, den beiden draußen platzierten Wash Backs und einer… hmmm… „Hütte“ zentral auf dem Gelände.

Aberfeldy Distillery Aberfeldy Distillery Mill Aberfeldy Distillery Still House

Beim Warten und Rumschlendern im Shop sind mir noch einmal zwei Dinge so richtig klar geworden. Erstens: es gehören so einige Brennerei zu Dewar’s, die man so gar nicht auf dem Schirm hat. Und zweitens: Preise für Whisky sind (nicht nur hier) unverschämt hoch. Abgesehen von etlichen deutlich überpreisten Abfüllungen in den Regalen des Shops und einer Unmenge an viel zu teuren Devotionalien, gab es ein Sherryfass von 2001 für Selbstabfüller für – Überraschung!? – über 200 Pfund pro Flasche.

Old drawing of Aberfeldy Distillery

Die Tour sollte 90 Minuten dauern und die beiden abschließenden Drams hätte ich mir einpacken können. So weit die Realität im Konjunktiv. Die Tour begann mit einem Werbefilm über Dewar’s im hauseigenen Kino. Kann man machen, muss man aber nicht. Danach durften wir uns im Museum des Hauses umsehen. Das war wider Erwarten sogar recht interessant – so man sich denn für Whiskygeschichte(n) und alte Flaschen interessiert. Nach 30 Minuten kam unser Tourguide, deren Name mir entfallen ist, hinzu und gab uns eine Sicherheitseinweisung. Das wohl wichtigste: wegen Explosionsgefahr war Fotografieren im gesamten Produktionsbereich untersagt, und wir mussten alle unsere Mobiltelefone ausschalten. Also nicht nur zum Fotografieren nirgendwo nicht nutzen, sondern wirklich ausschalten. So weit zur Komik beim Thema „Health and Safety“.

Es ging danach in die Produktion. Die Erklärungen zu Rohstoffen, Kornmühle, Mash Tuns, Wash Backs und Stills waren didaktisch sehr gut, wenngleich diese eher nach Schema F abgespult wurden. Fragen konnte die Dame aber fachlich gut beantworten. Erst im stillgelegten Warehouse, wo noch ein wenig über die Lagerung von Whisky erzählt wurde, durften wir unsere Mobiltelefone wieder anmachen. Ein Teilnehmer der Tour hatte für 10 Pfund eine „Zusatzleistung“ gebucht und bekam im Warehouse einen „speziellen“ Dram eingeschenkt. Diesen musste er vor uns anderen (geduldig wartenden) Teilnehmern trinken und durfte am Ende sein Glas behalten. Natürlich wurden wir anderen gefragt, ob wir nicht auch probieren und dafür extra zahlen wollten. Wollte aber keiner.

Weil die angekündigten 90 Minuten mittlerweile schon leicht überschritten waren, und Ryanair wegen 2 wee Drams von Aberfeldy bestimmt nicht auf mich warten würde, verabschiedete ich mich dankend von der VerkaufsveranstaltungTour und machte mich auf den verregneten Weg nach Edinburgh. Auch hier lag meine Fahrtzeit trotz einsetzendem Feierabendverkehrs leicht unter der Schätzung von Google. Schön zu wissen, dass man auf größeren schottischen Straßen nun endlich mit Google planen kann. Nur bei Single Track Roads habe ich noch Bedenken.

Die Rückgabe des Mietwagens verlief ähnlich reibungslos wie die Abgabe meines Koffers und der Gang durch die Sicherheitskontrolle. Ersteres war nur nasser und dauerte etwas länger, weil ein neuer Mitarbeiter meinte, wirklich alles im Regen überprüfen zu müssen. Ich hatte bis zum Abflug trotzdem noch Zeit für ein verspätetes Mittagessen. Oder ein verfrühtes Abendessen, wie man es nimmt. Als das Gate endlich angekündigt werden sollte, sagte der Bildschirm allerdings, dass der Flieger 25 Minuten verspätet sei. Blöde Überraschung!

Ich schlenderte also gemütlich zum Gate und musste dort erfreulicherweise gar nicht lange warten, bis das Personal von Ryanair nachdrücklich zum Boarden aufforderte. Priority mit Kabinengepäck zuerst, dann wir billigen Passagiere im Schlepptau. Sollte der Flieger doch nicht verspätet sein? Die Kontrolle von Boardingpass und Ausweis war von Rufen des Personals begleitet, dass man sich bitte tunlichst beeilen solle, dass nun noch eine dritte Kontrollstation geöffnet wurde, auf die man ausweichen sollte, dass… das hatte wirklich was von Viehtrieb. Und meinen Pass öffnete die Frau am Schalter nicht einmal, so eilig hatten wir es.

Danach standen knapp 200 Passagiere in der Brücke zwischen Gate und Landebahn, und nichts bewegte sich. Nach 5 Minuten und damit pünktlich zu unserer geplanten Abflugzeit rollte ein Flugzeug von Ryanair langsam neben die Brücke, in der wir eingepfercht waren. Es war – Überraschung! – tatsächlich unseres. Nun mussten erst knapp 200 Passagiere gemütlich aussteigen und das Flugzeug für eine neue Ladung fertig gemacht werden. Dann verließ noch das Personal, ebenfalls recht entspannt und gemütlich, das Flugzeug.

Wir standen am Ende mehr als eine halbe Stunden in absolut schneidbarer Luft und warteten darauf, endlich nach draußen zu kommen, um im Regen weiter zu warten, bis die Priority-Passagiere einen passenden Platz für ihr Gepäck gefunden hatten. Dass wir hier nass wurden, war jedoch nicht ganz so schlimm, waren es doch 30°C im Flugzeug und man trocknete schnell wieder.

Nochmal Ryanair? Das muss ich mir wirklich gründlich überlegen.

Alles in allem war meine kurze Tour aber schön. Mein Treffen mit Dennis war echt interessant, nur vielleicht nicht ganz so ertragreich, wie ich eigentlich gehofft hatte. Dafür habe ich den Rest meiner Zeit in Schottland sehr genossen. So, wie ich es eigentlich jedes Mal mache. Ich komme bestimmt wieder und bringe dann mehr Zeit mit. Ich freue mich schon drauf… nach der Reise ist vor der Reise.

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