Langsam ließ ich den zweiten Tag in Schottland angehen. Ich hatte ja eine Menge Zeit, bis mich Dennis Malcolm um 10 Uhr im Hotel abholen wollte. So mein Plan. Der hielt allerdings nur bis um 6 Uhr Ortszeit, als ich mit mir im Halbschlaf einig wurde, dass ich die Stunde Zeitverschiebung noch nicht richtig aus den Knochen bekommen hatte. Weil ich das Frühstück erst um 9 bestellt hatte – besser spät, um eine länger anhaltende Grundlage zu schaffen… der Tag konnte ja lang werden -, blieben mir ein paar Stunden für eine gründlichere Vorbereitung des Gesprächs mit Dennis. Ich wusste zwar, was wann bei und mit Caperdonich geschehen war, aber konkrete Fragen an Dennis hatte ich vor diesem Morgen noch nicht.
Also setzte ich mich meinem Laptop auf’s Bett und begann meine Notizen nach Lücken zu durchsuchen. Es gab da so einige, insbesondere für die Zeit um 1900. Mein Gespräch mit Dennis sollte also nicht langweilig werden. Als Bonbon hatte Dennis mit seinem Nachfolger als Master Distiller bei Glen Grant, Greig Stables, verabredet, dass ich mich auch im Archiv von Glen Grant umsehen durfte. Ich wusste nur nicht, wie umfangreich dieses Archiv war oder wie viel Zeit Dennis als Neu-Rentner haben würde. Darum hatte ich mir für diesen Tag nicht viel mehr vorgenommen als den Besuch bei Glen Grant.
Nach der Lückensuche ging ich kurz duschen und lange frühstücken. Es gab, für mich eher alternativlos, ein Full Scottish. Bohnen, Wurst, Bacon, Rührei, Black Pudding, Haggis, Pilze, Tomate, Toast und… satt. Ein guter Start in den Tag.
Ich hatte nicht lange an der Rezeption gewartet und war eigentlich gerade dabei, die vielen Flaschen im Whiskyzimmer des Hotels zu begutachten, als um kurz vor 10 die Tür aufging und Dennis hereinkam. Da er natürlich nicht wusste, wer ich war, ging ich auf ihn zu, begrüßte ihn und stellte mich sicherheitshalber vor. Zu meinem Trost (oder zu meiner Besorgnis?) schien Dennis genauso wenig vorbereitet zu sein, wie ich es noch 3 Stunden zuvor war. Nach leichter Verwirrung darüber, welcher Stefan ich denn nun war – es waren einige Nachnamen im Spiel -, und nachdem ich auch klargestellt hatte, dass ich kein Mitarbeiter von Campari war, stellte er mich später allen in der Brennerei mit diesen Worten vor: „This is Stefan, a Caperdonich fanatic“.
Echt jetzt, bin ich wirklich so schlimm?
Trotzdem fuhr er mich in seinem 7er BMW die paar Hundert Meter zur Brennerei rüber. Das war schon ein Luxus, den ich nicht gewohnt bin. Glen Grant war aktuell für Besucher geschlossen, weil das Besucherzentrum umgebaut werden soll, wie die Homepage mir verraten hatte. Dennis erzählte aber, dass Arbeiten in der gesamten Brennerei durchgeführt wurden, um sie generell zu modernisieren, sie nachhaltiger auszurüsten und nicht zuletzt attraktiver für Besucher zu gestalten.
Die Bauarbeiten machten es für uns nicht einfacher, einen ruhigen Platz für einen Schwatz zu finden. Dennis beschloss daher, dass wir uns erst einmal dem Archiv widmen sollten. Das befindet sich in der ersten Etage des vor Jahrzehnten zu Büros umgebauten kleinen Warehouses in der Mitte des Brennereigeländes, und es besteht aus einem ungefähr 10 Meter langen Regal, das auf der einen Seite des Flurs aufgestellt ist. Das Regal ist gefüllt mit Pappkisten, deren Inhalt nach verschiedenen Themenbereichen sortiert ist. Allgemeine Korrespondenz, Rechnungen, Zeichnungen, Fotos und nicht zuletzt Dokumente, die man bei Glen Grant zum 150-jährigen Jubiläum gesammelt hatte. Dazu kamen noch allerlei lose Dokumente, die aufgrund ihrer Größe keinen Platz in den Pappkisten hatten, sowie etliche Ledgers.
Auf meine Bitte hin begannen wir, die Kisten mit den alten Zeichnungen zu sichten. Der Großteil dieser zeigte Details und Übersichten von Glen Grant, aber ein paar schöne Funde von Caperdonich waren auch dabei. Danach öffnete Dennis den Ledger von Caperdonich für 1965-1967, den ersten Jahren nach der Wiedereröffnung. Überraschend viele der ersten Fässer wurden zu dieser Zeit im Auftrag von Tomatin Distillers mit New Make aus der neuen/alten Brennerei befüllt. Eine Überraschung bot dann die Seite mit den Eintragungen des 14. Mai 1965, an dem offiziell das erste Fass abgefüllt wurde. Mehr darf ich allerdings nicht darüber schreiben, sonst gibt’s Haue.
Als ich bemerkte, dass Dennis (schon) nach 2 Stunden leicht ungeduldig wurde, nahmen wir uns eine erste Kiste mit Fotos vor. Da blühte er wieder etwas auf und konnte mir viel über ehemalige Kollegen und diverse alte Bilder und Details von Glen Grant erzählen. Leider gab es in dieser Kiste nichts über Caperdonich, und ich wollte Dennis‘ Geduld mit dem Öffnen weiterer Kisten nicht überstrapazieren. Immerhin hatte ich ja noch vor, mit ihm unter 4 Augen über Caperdonich zu reden.
Das taten wir dann auch, nachdem Marilena Bidaine, Managerin des Visitor Centres, für uns den alten Tea Room aufgeschlossen hatte. Und nachdem ich von Dennis einen Dram des neuen 21-jährigen Glen Grant aus der Glasshouse Collection eingeschenkt bekommen hatte. Das ist ein echter Gaumenschmeichler mit wirklich schönem Alter. Nur der Preis hätte mit 247 Pfund gerne ein paar Kilo niedriger ausfallen dürfen.
Ich hatte uns beiden zu diesem für mich besonderen Anlass ein Sample eines 36-jährigen Caperdonich aus dem Hause Douglas Laing mitgebracht, destilliert 1967 und abgefüllt im Jahre 2004 mit immer noch imponierenden 57,9%. Natürlich war das auch mein Dank an Dennis dafür, dass er mir zuvor so viele Informationen über Caperdonich hat zukommen lassen und sich an diesem Tag überhaupt (so viel) Zeit für mich genommen hat. Wir nahmen nur einen winzigen Schluck daraus, weil Dennis ja noch BMW fahren musste, und waren… hmm… eher enttäuscht. Ich hoffe, dass Dennis an dem Dram später doch noch Gefallen finden konnte. Ansonsten gilt: der Gedanke zählt.
Die fast 2 Stunden drumherum haben wir allerdings auch ein sehr nettes und informatives Gespräch geführt. Fand ich. Mit vielen Fakten und bestimmt genauso vielen Anekdoten. Aber um darüber mehr schreiben zu können, muss ich mir erst einmal die Aufnahme unseres Gespräches anhören und abtippen.
Abschließend sind wir noch einmal zu Dennis‘ Auto gegangen. Er gab mir einen Nachdruck aus dem „The Scotsman“ aus dem Jahr 1967 über Glen Grant und die Erweiterung der Caperdonich Brennerei, den er noch zu Hause gefunden hatte. Eine schöne Geste an einen Fanatiker.
Nur auf meine zwischenzeitliche Frage, ob ich mich am kommenden Tag noch einmal ein paar Stunden im Archiv aufhalten durfte, ging Dennis leider nicht ein. Entweder hat er meine Frage nicht gehört, oder er hat befürchtet, dass er wieder mehrere Stunden mit mir im Flur vor seinem alten Büro verbringen müsste. Dabei hätte er meinetwegen nicht unbedingt dabei sein müssen. Aber ich war einfach zu höflich und dankbar (und schüchtern?), dass ich meine Frage nicht wiederholt habe. Eine verpasste Chance.
Wie auch immer. Ein sehr interessanter und spannender Teil dieses Tages ging seinem Ende zu. Dennis bot mir noch an, mich wieder zum Station Hotel zurückzufahren, aber ich wollte lieber noch ein paar Schritte gehen. Viele waren es ja nun wirklich nicht. Von Glen Grant aus schlenderte ich über den Kreisverkehr auf die andere Straßenseite in Richtung Mackessack Park – ein paar heimliche Tränen ob der großen grünen Stahlblechhütten auf der anderen Seite des Back Burn weinen.
Ich? Fanatiker? Nein, nie nicht!
Es war mittlerweile fast 3 Uhr geworden und die Wirkung des Full Scottish Breakfast ließ langsam nach. Schräg gegenüber vom Hotel liegt die lokale Imbissbude von Rothes, die glücklicherweise geschlossen hatte. Eigentlich stand mir der Sinn gerade nicht nach Junkfood. Dann lieber ein paar Sandwiches oder sowas von Supermarkt 50 Meter weiter die Straße runter. Dazu noch eine Familienflasche Fanta und ich sollte bis zum Abendessen durchhalten können. Nennen wir es Junkfood-Light.
Am Nachmittag stand nur noch chillen an. Ein kleines Nickerchen nach dem Essen. Ein Spaziergang in den südlichen Teil von Rothes, der dem nördlichen zum Verwechseln ähnelte, je näher man der High Street kam. Auf den Geländen der beiden nicht für Besucher geöffneten Brennereien in Rothes, Glenrothes und Glen Spey, hatte ich mich beim letzten Besuch schon herumgetrieben und eine Tour bei Speyburn stand erst am folgenden Tag auf dem Programm. So weit, so chillig.
Wieder im Hotel nahm ich mir noch die 3 Samples zur Brust, die ich am Vortag bei Strathisla abfüllen durfte. Der 11-jährige Single Malt war eigentlich ziemlich lecker, der Rye von Chivas viel zu roggig und der Royal Salute überraschend reif und gut. Na, immerhin war die Führung viel besser als die Whiskys.
Noch einmal gab es ein Abendessen im Station Hotel. Diesmal allerdings ohne Vorspeise. Oder gilt Whisky als Vorspeise? Ich hatte mich jedenfalls zur hauseigenen Abfüllung überreden lassen, einen 24-jähriger Single Malt aus der Speyside Distillery, mit einem Finish in einem Sherry-Butt. Das ging bei dem Preis als risikoarmer Versuch durch. Und der Dram war sogar gut. Ein wenig jung für sein etikettiertes Alter, aber gut.
Die Hauptattraktion des Abends war Battered Haddock oder wie in man in Fachkreisen sagt: Fish & Chips. Mit der Sandwich-Grundlage, die ich mit dem späten Mittagessen gelegt hatte, war das mehr als ausreichend.
Danach warf ich noch einen Blick in die Whisky-Karte des Hotels. Karte ist dabei jedoch untertrieben – ich bekam ein ganzes Buch vorgelegt. Ich nahm einen Oban Distiller’s Edition von 1999, als sichere Wahl, wie ich dachte. Er war jetzt nicht schlecht, aber leider sehr flach und kein Vergleich zu den älteren (… alten) Abfüllungen aus der Serie.
So weit zu diesem ereignisreichen Tag. Für den nächsten Tag stand Sightseeing auf dem Programm. Oder, falls Dennis es sich überlegen sollte, vorzugsweise ein paar weitere Stunden im Archiv von Glen Grant.