Die Nacht nach der unfreiwilligen Kleidungswäsche des Vorabends verlief sehr entspannt. Der Tag begann wie erwartet mit freundlichem Sonnenschein und wir waren bester Laune, wenn auch etwas hungrig. Das Frühstück war für 8.30 Uhr bestellt, ein „full Scottish breakfast“, wie es sich gehört. Auf einer Kommode neben dem Frühstückstisch standen zwei Flaschen Springbank, die allerdings leer waren, wie wir erfahren mussten. So ganz so „full“ war das schottische Frühstück dann also doch nicht, aber die nicht-flüssigen Nahrungsbestandteile waren ein vollwertiger Ersatz um diese Uhrzeit.
Es stellte sich nach ein paar Minuten auch heraus, dass wir gar nicht die einzigen Gäste im Paradebeispiel für akuten Modernisierungsbedarf waren. Es gesellten sich mit der Zeit noch ein englischer und ein italienischer Malthead zu uns. Letzterer war, wie sich im Gespräch herausstellte, im Einsatz für ein Online-Auktionshaus aus London, das unter anderem Whisky anbietet. Auch nicht ganz uninteressant.
Trocken (in jeglicher Hinsicht) und gestärkt konnten wir unseren ersten Tag in Campbeltown angehen. Unser erster Stopp sollte der Laden von Cadenhead’s sein. Die Firma wurde 1842 in Aberdeen von George Duncan gegründet, in der der Namensgeber William Cadenhead 1853 Teilhaber wurde. Cadenhead ist damit Schottlands ältester unabhängiger Abfüller. Nach schweren Zeiten und dem fast vollständigen Ausverkauf der Lagerbestände 1972 wurde Cadenhead vom Familienbetrieb J. & A. Mitchell übernommen, denen heute auch die Brennereien Springbank und Glengyle in Campbeltown gehören. Von der Gerste bis zum Kunden alles aus einer Hand, sozusagen.
Der Laden machte erst um 10 Uhr auf und so hatten wir noch ein wenig Zeit durch die Gassen von Campbeltown zu schlendern. Als wir wieder zurück kamen, waren schon etliche Kunden im Laden. Grund war das Campbeltown Malts Festival, das die drei Tage vor unserem Besuch in der Stadt gefeiert wurde. Hierzu wurden von Cadenhead einige spezielle Tastings arrangiert, bei denen einige Kunden Handabfüllungen bestellt hatten, die sie jetzt abholen wollten. Der Laden selber war sehr schön. Neben unzähligen Hausabfüllungen standen dort auch etliche Fässer, von denen man Proben verkosten konnte.
Ich fragte in einer ruhigeren Minute nach meinen beiden reservierten Caperdonich aus einem Fass, aus dem eigentlich nur bei Teilnahme am Cadenhead Warehouse Tasting abgefüllt wurde. Wir wollten das Tasting ja gerne mitmachen, waren aber nur zu Zweit und samstags müssen aus organisatorischen Gründen 4 Personen teilnehmen. Trotzdem bekam ich die Flaschen. Vielen Dank dafür an das Cadenhead-Team! In weiser Voraussicht und den zu erwartenden Flaschenkäufen auf dem Feis Ile bat ich darum, dass mir die Flaschen zugeschickt werden sollten. Kein Problem, allerdings ein kostspieliges. Um die Versandkosten etwas zu relativieren, gesellte sich zu den beiden Caperdonich völlig stressfrei noch ein Kilkerran Festival-Bottling. Kai begnügte sich mit einem älteren Tamdhu, den er im Gepäck mitnehmen wollte – eine Entscheidung, die ihm hinterher noch ein paar Kopfschmerzen bereiten sollte.
Der Laden war also soweit geplündert und wir machten uns auf dem Weg zu unserer ersten Brennereibesichtigung. Glen Scotia stand auf dem Programm. Zur Führung kam auch noch der Engländer vom Frühstück, dem wir von unserer Tourbuchung erzählt hatten, sowie ein in Schweden lebender Landsmann dazu. Der Guide hatte nach eigenen Aussagen noch ein wenig mit den Nachwirkungen des letzten Festivalabends zu kämpfen, aber er bot uns eine ordentliche Tour. Wir bekamen den Produktionsprozess erklärt, sahen ein ziemlich leeres Warehouse und quatschten etwas über die Zusammenarbeit in der Loch Lomond Group, zu der u.a. Glen Scotia gehört. Zum Abschluss gab es ein paar Drams aus der aktuellen Range von Glen Scotia, mit dem Festival-Bottling als klarem Favoriten, dem Victoriana als Runner-Up und den anderen unter ferner liefen:
- 15yo (American Oak Barrels, 46%)
- Victoriana (Charred Oak Casks, 51,5%)
- Double Barrel (1st Fill Bourbon & Pedro Ximénez Sherry Casks, 46%)
- Festival-Bottling 2016 (Distillery Edition)
Das war nett, aber eigentlich kein Grund, deswegen noch einmal dem weiten Weg nach Campbeltown auf sich zu nehmen. Weiter ging es zur nächsten Tour bei Springbank mit Abstecher zur Glengyle Brennerei, die besser aufgrund ihrer Work-in-Progress-Abfüllungen unter dem Label Kilkerran bekannt ist. Auf dem Weg dahin ging es an den alten Gebäuden der seit 80 Jahren stillgelegten Benmore Brennerei vorbei. Ein verwittertes Schild über einer Toreinfahrt und ein verstümmeltes Pagodendach sind die einzigen Zeugen aus dieser längst vergangenen Zeit. Sonst sind uns eigentlich auch keine (ausreichend gut) sichtbaren Zeichen zu anderen der ehemals 32 Brennereien in der Stadt aufgefallen. Schade eigentlich.
Die Besuchergruppe bei Springbank war ungleich größer als die bei Glen Scotia. Auch hier ging es wieder durch den gesamten Produktionsprozess. Diesmal begann es allerdings mit dem Mälzen der Gerste, das bei Springbank noch immer im eigenen Haus durchgeführt wird. Danach mühlen, maischen, fermentieren, destillieren und reifen. Das ursprüngliche Dunnage-Lagerhaus war wesentlich interessanter als das moderne „Lager“ bei Glen Scotia und es war witzig, einmal ein winziges Kilderkin-Fass neben einen Butt liegen zu sehen. Wie Vater und Sohn. Ich hätte es auch fast geschafft, mich dort einschließen zu lassen… was mich nur wenig gestört hätte.
Der anschließende Fußmarsch um das Brennereigelände herum zur Glengyle Brennerei war dank der Erklärungen des Guides eher kurzweilig – hätte er doch nur nicht den Schlüssel zum Hoftor von Glengyle vergessen gehabt. Machte aber nichts, da das Tor 10 Meter weiter links offen stand und wir das Äußere der Brennerei auch ohne den Tourguide aus nächster Nähe betrachten konnten. Die technische Ausrüstung bei Glengyle scheint zu großen Teilen aus Altteilen anderer Brennereien zu bestehen. Erinnern kann ich mich noch an die Getreidemühle, die Frank McHardy für ein symbolisches Pfund bei Craigellachie kaufen konnte, sowie an die Brennblasen von Ben Wyvis.
Abgesehen von der bewegten Geschichte von Glengyle und dem Hickhack um die fehlende Lizenz zur Nutzung des Brennereinamens für eigene Abfüllungen – dieser liegt bei einer französischen Firma, die einen Blend unter dem Namen „Glengyle“ abfüllt – gab es hier eigentlich nicht viel zu berichten. Die Tour endete ausnahmsweise einmal nicht mit ein paar Drams; für diese mussten wir zurück zu Cadenhead und konnten uns dort die obligatorischen Tour-Drams von Springbank und Kilkerran abholen.
Dieser Weg war aber sowieso schon eingeplant, da wir bei Cadenhead anstelle des von vielen Seiten gelobten Warehouse Tastings die „Taste it Experience“ gebucht hatten. Zusammen mit zwei Österreichern und einem schottischen Pärchen gab es dann im Tastingraum von Cadenhead 6 völlig unterschiedliche Drams aus dem Fundus des Abfüllers. Erinnern kann ich mich an einen Hazelburn aus einem Sherryfass, einen Longrow, einen Kilkerran, zweimal Springbank und einen Glen Scotia von Cadenhead. Details bleibe ich leider schuldig, da die Abfüllungen zwar lecker waren, mich aber nicht vom Hocker gehauen haben. Erinnern kann ich mich auch noch an den Tourguide, der uns nach seinen Erklärungen zum letzten Dram nur sagte: „So, ich muss jetzt wieder nach vorne in den Verkauf. Trinkt ruhig aus und macht dann die Tür hinter euch zu.“… was meinte er bloß mit „austrinken“? Die eingeschenkten Drams? Die offenen 6 Flaschen vor uns? Die restlichen Flaschen aus den Bar-Regalen? Na, wir waren bescheidene Gäste und beließen es bei den Drams in unseren Gläsern plus einem Extra aus den offenen Flaschen.
Nachdem ich noch eine weitere Abfüllung von Cadenhead gekauft und mir in mein Paket habe legen lassen, war die Zeit langsam reif für ein kurz-vor-17-Uhr-Mittagessen. Die Zeit vergeht eben schnell, wenn man wichtige Dinge tun kann. Nun hatten wir keine Lust auf Burger oder Fisch mit dicken Pommes und fanden einen Chinesen mit vielversprechender Menükarte am Eingang. Rein, bestellt, gegessen, satt. Gebratene Nudeln, Reis und Ente waren es, in ziemlich großen Mengen. Aber wer hart arbeitet, muss auch richtig essen.
Auf dem Weg zurück zum B&B fanden wir noch einen Pub, der für den Abend ab 22 Uhr mit Livemusik warb, die wir diesmal nicht verpassen wollten. Dass wir noch einen kurzen Regen abwarten mussten, machte gar nichts, konnten wir nach einem ereignisreichen Tag so noch unsere Füße ein wenig auf Kopfhöhe bringen. Nach dem Regen ging es zum Pub und wir konnten bei einem gemütlichen Pint noch das Ende der Verlängerung des DFB-Pokals zwischen Dortmund und Bayern sowie das Elfmeter(ver)schießen sehen. Das nächste Pint war dann weniger gemütlich, weil der Pub in der Zwischenzeit von ein paar „middle-aged men“ in deutlich bester Laune, schwankend und laut, heimgesucht wurde (schrieb ich schon, dass Schotten nur von Sonntag bis Freitag und außerhalb von Pubs sehr nett sind?). Die Livemusik war auch nicht so der Hit, darum ging es mit Umwegen an anderen, ebenfalls heimgesuchten Pubs vorbei zurück zum B&B. Unterwegs wurden noch ein paar Fotos von Campbeltown-by-night geschossen und der Tag endete mit einem Set der Tour-Drams, die wir am Nachmittag bekommen hatten. Lecker war’s und der Regen des Vortages war vergessen.