Die Nacht war ein wenig unruhiger als die vorherigen. Die „Flying Dutchman“ lag im Hafen von Port Ellen mittlerweile zwischen dem Pier und der „Irene“. Die Fender der beiden Schiffe rieben die ganze Nacht lustvoll und geräuschvoll an den Schiffen bzw. am Pier und hielten uns wach. Aber egal, für den Tag war mehr oder weniger Entspannung angesagt, kein Stress. Das Frühstück sollte uns schon auf die Beine bringen.
Für die Tour nach Kilchoman hatte Michael wieder ein paar Taxis bestellt. Nicht alle Mitreisenden wollten die Brennerei an ihrem Open Day sehen und deshalb war für mich diesmal sogar Platz auf einem ganz normalen Sitz. Die Aussicht war so zweifelsfrei besser, aber für den Fahrkomfort hätte ich lieber wieder im Kofferraum gesessen. Während wir bei Kilchoman waren, wollte die „Flying Dutchman“ ins Loch Indaal segeln und dort am Abend vor dem Pier von Bruichladdich auf uns warten.
Bei Kilchoman hatten Kai und ich nur ein Tasting gebucht, eine Masterclass mit Anthony Wills um 12 Uhr. Das ließ uns bis zur Fahrt nach Bruichladdich um 14 Uhr reichlich Zeit für einen kleinen Spaziergang zur Machir Bay. Es sollte dort ja sehr schön sein. Als wir so im Taxi saßen, fragte ich Alastair, ob er uns nicht am Anfang des Feldweges zur Brennerei rauslassen konnte, dann wären wir die Straße einfach weiter zum Strand gelaufen. Drei andere Segler fanden die Idee auch gut und wollten mit, so dass uns Alastair am Ende sogar bis zum Parkplatz am Strand brachte. Die anderen im Kleinbus fuhr er wieder zurück zur Brennerei.
Zu Fünft ging es also über die Dünen zum Strand. Das Wetter war leider weniger strandtauglich, es war unser erster Tag auf Islay mit Wolken und viel Wind. Aber immerhin regnete es nicht. Wir waren bei diesem Wetter die Einzigen an diesem schönen, langen, breiten Sandstrand und ich genoss die Stille von Wellen und Wind. Auch ohne Sonne war es ein Erlebnis.
Eigentlich wollte ich ein Sample von einem Machir Bay für diese Gelegenheit von zu Hause mitnehmen, aber das hatte ich natürlich vergessen. Stattdessen gab es also den Galileo, den ich am Vorabend bei Ardbeg abgefüllt hatte. Als ich das Sample aus dem Rucksack nahm, vergingen keine 2 Sekunden und ich bekam 4 leere Tastinggläser unter die Nase gehalten. Tja, was soll ich sagen… so geht Whisky. Slàinte!
Wir blieben noch ein paar Minuten am Strand und genossen die Zeit, bevor wir uns auf den Weg nach Kilchoman machten. Es ging vorbei an Feldern und Schafen in Richtung Loch Gorm, dann nach rechts in den Feldweg zur alten Rockside Farm, die auch die Brennerei beheimatet. Komisch… auf dem Feldweg kamen uns um halb 11 wesentlich mehr Autos entgegen als uns von hinten überholten. Warum wollten die alle schon wieder weg? War da nix los?
Wir kamen zu Kilchoman und konnten Entwarnung geben. Das Fest war in vollem Gang und diejenigen, die die Brennerei schon wieder verlassen hatten, hatten ihre Festival-Abfüllung im überfüllten Visitor Center wohl schon bekommen. Schade für sie, denn der Open Day von Kilchoman war echt gut. Tolle Musik (endlich mal was traditionell-schottisches, nicht nur Cover-Pop) und richtig leckeres Essen. Dazu eine sehr locker auftretende Familie Wills sowie richtig gut gelaunte Mitarbeiter der Brennerei. Das war bestimmt nicht so einfach bei diesem Stress.
Für Kai gab es den ersten Burger des Tages als Grundlage für das anstehende Tasting und danach sahen wir uns in aller Ruhe um. Freier Zugang war eigentlich überall, ob beabsichtigt oder nicht. In dieser kleinen Brennerei haperte es zwar ein wenig mit dem Platz, aber man kam so natürlich leichter ins Gespräch mit anderen. Interessant war es im Still House. Hier gab es einen Wettbewerb, bei dem man den Alkoholgehalt von 5 Stadien des Destillates durch Riechen bestimmen sollte. Ich wollte mir die Nase vor der Masterclass allerdings nicht verbrennen und probierte nur ein einzelnes fruchtig-malziges Aroma aus den 5 Gläsern. Ja, Alkohol war drin.
Dann ging es zur Masterclass in den Malting Floor. Ganze 6 Drams aus noch nicht abgefüllten Fässern, eine gut gefüllte Tüte mit Devotionalien und Anthony Wills warteten dort auf uns:
- 100% Islay (2008, Cask 546)
- Fresh Bourbon (2006, Cask 283)
- PX Finish (2011, Cask 446)
- Sauternes (2011, Cask 39)
- Sherry Butt (2011, Cask 220)
- Oloroso Sherry Butt (2006, Cask 308)
Anthony präsentierte sein Baby wie immer voller Stolz. Und diesmal auch mit Trauer. Trauer um seinen langjährigen Weggefährten John MacLellan, der im März dieses Jahres verstorben war. Ich habe John selber nicht kennengelernt, aber viel Gutes über ihn gehört. Alle Teilnehmer des Tastings spendeten aufrichten Beifall und gaben Anthony so auch ein paar Sekunden, um sich wieder sammeln zu können. Das war ein sehr bewegender Augenblick.
Die Drams habe ich im Einzelnen nicht mehr in Erinnnerung. Der 100% Islay war grundlegend gut, wie immer ein guter Kauf. Den PX fand ich etwas interessanter weil abwechslungsreicher, er hätte aber gerne noch ein wenig länger im Fass bleiben dürfen. Nur die beiden Abfüllungen aus den Sherry Butts gefielen mir nicht so, sie waren zu alkoholisch und kräftig.
Bemerkenswert waren noch zwei andere Dinge: 1. das bräunlich-torfige Tischwasser bei Kilchoman und 2. die Offenheit von Anthony Wills auf meine Frage, wie viele Whiskyfässer in einer eher kleinen Brennerei wie Kilchoman denn wegen unzulänglicher Reifung geschmacklich nicht brauchbar wären. Seine Antwort: „Keins. Wenn ein Fass nichts anständiges hervorbringt, wird entweder gevattet oder z.B. in Sherry nachgelagert.“ Das nenne ich mal ehrlich! Und schottisch-sparsam.
Nach der Masterclass wartete dann die Frage aller Fragen auf eine Antwort: passte noch eine Festival-Flasche in unser Gepäck? Ich konnte nur mit einem klaren Nein antworten. Eine dieser bauchigen und dickwandigen Flaschen hätten eindeutig mein Gewichtslimit bei der Heimreise gesprengt. Das war nicht drin. Auch Kai entschied sich gegen einen Kauf. Er setzte auf Bunnahabhain und Bruichladdich. Die Festival-Abfüllung war mit Sicherheit der beste Dram, den ich bei Kilchoman probiert hatte, obwohl auch sie aus einem Oloroso Sherry Butt (Cask 429, 2007) stammte. So unterschiedlich reift eben Whisky in Eichenholz.
Michael, unser fürsorglicher Reiseleiter und -begleiter, hatte aber vor, eine seiner beiden Flaschen für die Bordbar auf dem Schiff zur Verfügung zu stellen. Gegen einen kleinen Obolus konnte sich dann jeder daraus bedienen. Eine schöne Geste am Rande: am Tag darauf stand auf der Box „bezahlt“. Einer anonymer Spender an Bord hatte die Flasche der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt. Vielen Dank dafür! Die leere Flasche wurde allerdings am Ende der Reise nicht gerade ordnungsgemäß entsorgt. Dazu dann mehr in einem der nächsten Beiträge.
Langsam wurde es auch für mich Zeit für etwas Handfestes im Magen. Der lecker klingende Lachs-Burger war leider schon weg, aber der normale Burger war auch sehr gut. Wir gingen noch ein wenig auf dem Gelände rum, quatschen, guckten und genossen nicht zuletzt die ausgeschenkten Drams und die tolle Musik (leider hatte die Band keine CD dabei…). Dann wurde es Zeit für den Abschied von Kilchoman und wir warteten auf dem Parkplatz auf unseren Kleinbus. Doch was war das? Regen! Aber hey, kein Stress. Einmal nass werden in Schottland ist wie keinmal nass werden in Schottland.
Bei Bruichladdich wollten wir am Nachmittag noch ein Warehouse Tasting mitmachen. Auch wenn der Kleinbus nicht wirklich pünktlich war, konnten wir uns ein paar Minuten im Visitor Center umsehen. Das ist seit meinem letzten Besuch schon ziemlich modern geworden, wenngleich nicht unbedingt besser. Früher war es einfach gemütlicher. Dann wurden wir aber auch schon zum Tasting gerufen und folgten dem Guide brav ins Lagerhaus. Dort gab es drei Fassproben:
- Fresh Bourbon (1989, Cask 44, 53,5%)
- Port Charlotte (2003, Cask 631, 62,94%)
- Octomore (2005, Cask 2570, 60,04%)
Mein Favorit war uneingeschränkt der Octomore, der in dieser Form leider niemals die durstigen Kehlen der Whiskygemeinde erreichen wird. Möglicherweise war mein Geschmack schon etwas durch die langen Tage und die vielen Drams auf Islay beeinträchtigt, aber ich fand, dass das ein richtig lecker Teil war. So lecker, dass ich förmlich darum gebettelt habe, noch ein Sample für zu Hause zu bekommen. Und am Ende auch (leicht widerwillig) bekam. Wieder ein großes Danke Schön an einen der Guides aus den tollen Brennereien auf Islay! Ich freue mich schon darauf, diesen Dram noch einmal in Ruhe im Glas zu haben.
Wieder zurück im Visitor Center gingen viele der Mitreisenden das Portfolio von Bruichladdich durch, um geeignete Beute für zu Hause zu finden. Dabei halfen natürlich die kostenlosen Drams, die an der Bar ausgeschenkt wurden. Ein netter Service von Bruichladdich: man konnte sich die gekauften Flaschen nach Hause schicken lassen. Wäre der Octomore aus dem Tasting dabei gewesen, hätte ich sicher auch zugeschlagen. Kai hatte es eher der Port Charlotte CC:01 (8yo, 2007-2016, Cognac, 57,8%) angetan, der für den Travel Retail abgefüllt wurde. Aber den kaufte er sich erst ein paar Tage später im Flughafen auf dem Heimweg.
Wir schauten uns zum Abschluss noch etwas auf dem Gelände der Brennerei um, bevor wir uns zum Pier von Bruichladdich aufmachten, wo die „Flying Dutchman“ ankerte. Der Regen hatte wieder aufgehört und wir wurden vom Skipper mit dem Schlauchboot zum Schiff gebracht. Ein wenig mulmig war mir hier schon, waren wir am Ende des Tages doch nicht mehr ganz nüchtern.
Dieser Abend wurde einer der ruhigeren. Für Kai eventuell etwas zu ruhig, er ruhte nach dem Abendessen auf einer der bequemen Bänke im Salon sehr in sich selber. Früh verabschiedete er sich dann, um in unserer Kabine noch ein wenig Musik zu hören. Als ich etwas später runterkam, hatte ich ein wenig Angst um die Masten der „Flying Dutchman“, an denen sehr heftig gesägt wurde. Nun ja, richtig frisch war ich offensichtlich auch nicht mehr. Nachdem Kai wieder wach wurde und nach dem Zähneputzen als last-man-standing das Licht ausmachte, verging wohl nur eine knappe Sekunde bis ich lautstark schnarchte – und Kai nicht mehr einschlafen konnte. Sorry, das war keine Absicht, mein Freund!