Wer ist David Lloyd George?

David Lloyd George 1915England. London. Stadtteil Westminster. Wir reisen 106 Jahre zurück in der Zeit und schreiben das Jahr 1915. Der Erste Weltkrieg war in vollem Gange und Großbritannien war seit einem Jahr Teil davon. Premierminister in den ersten beiden Kriegsjahren war Herbert Henry Asquith. Unter ihm diente zunächst als Schatzkanzler und ab 1915 als „Munitionsminister“… David Lloyd George.

Doch was hat dieser mit Whisky zu tun?

Persönlich gar nichts. Er war strikter Antialkoholiker, ein sogenannter Teetotaler. Durch seinen Beruf als Politiker sowie seine Stellungen als Minister – und ab 1916 auch als Premierminister – hatte er hingegen einen großen Einfluss auf viele Bereiche des Lebens, zum Beispiel auf (Alkohol)Steuern, die in Kriegszeiten natürlich gerne in die Staatskasse fließen durften.

Dem Teetotalismus waren im damaligen Großbritannien jedoch nicht allzu viele Mitbürger verfallen. Das war auch Lloyd George’s große Herausforderung. Auf der einen Seite wurden für Alkohol gute Steuern gezahlt, die dringend gebraucht wurden. Auf der anderen Seite können Betrunkene nicht wirklich effizient arbeiten und sollten schon gar nicht Munition oder anderes Kriegsgerät herstellen. Oder wie Lloyd George hierüber treffenderweise sagte:

Drink is doing more damage in the war than all the German submarines put together.

Was macht ein Lloyd George in diesem Fall als absolut abstinenter Schatzkanzler? Er ruft das Central Control Board (für den Vertrieb von Alkohol) ins Leben, das unter anderem alkoholfreie Zonen in Kasernen und größeren Regionen festlegen konnte. So wurden beispielsweise Brauereien und Pubs auf einer Fläche von knapp 800 Quadratkilometern nördlich von Carlisle geschlossen, um die Produktion der lokalen Munitionsfabrik zu schützen.

Pubs konnte man auferlegen, „vernünftige Erfrischungen an Männer im harten Dienst zu verteilen“ an Stelle von „Rauschmitteln“. In einer Erweiterung des Licensing Act von 1915 wurden Öffnungszeiten für Pubs und Bars auf 12.00 bis 14.00 und 18.30 bis 21.30 begrenzt (mit leichten regionalen Variationen), um durch Trinkpausen die Effizienz der Arbeiter zu erhöhen. Dabei wurden auch Preise staatlich geregelt, um Preisdumping zu vermeiden. Jegliche Werbung für Alkohol wurde untersagt, ebenso wie das Ausstellen von Flaschen mit alkoholischen Getränken in Schaufenstern.

Teetotal, Quelle: The Workers' Onward, Januar 1915Darüber hinaus wurde verboten, Alkohol für andere Personen als sich selber zu kaufen. Eine Runde für gute Freunde zu schmeißen war also passé. Oder man riskierte eine Gefängnisstrafe von bis zu 6 Monaten. Auch Bier wurde verwässert, um übermäßiger Trunkenheit entgegenzuwirken. Es hieß damals nicht umsonst „Lloyd George’s beer“. Und es gab in Pubs keine Gedecke mehr (Bier und Schnaps).

Lloyd George sieht in seinem letzten Steuerhaushalt von Anfang 1915 letztendlich vor, die Abgaben auf Alkohol zu verdoppeln. Das sollte die schönen Nebeneffekte haben, dass weniger Leute – speziell in der Arbeiterklasse – sich Alkohol leisten können, durch die höheren Steuern aber kein großer Einbruch für die Staatseinnahmen zu erwarten war. Clever.

Er hatte nur leider die Rechnung ohne den Wirt gemacht, denn Alkohol gab es zu dieser Zeit sehr häufig in Whiskyflaschen. Whisky konnte man damals recht günstig kaufen, weil er schnell und günstig produziert werden konnte. Nur größere Brennereien konnten es sich leisten, Whisky – sei es Malt oder Grain – ein paar (wenige) Jahre in Fässern reifen zu lassen. Häufiger war er nur für den Transport darin oder eben bis der Inhalt des Fasses an den Mann gebracht war. Das wirkte sich selbstverständlich auf die Qualität von Whisky und dessen Ruf aus. Aber hey, wenn man nichts besseres gewohnt war…

Der Wirt (aka die Whiskyindustrie) war also überhaupt und verständlicherweise nicht zufrieden mit Lloyd George’s Idee, die Steuer auch für Whisky so massiv zu erhöhen. Da die Whiskyindustrie sich nunmal vornehmlich aus größeren Brennereien konsolidierte, die bereits hochwertige(re)n Whisky durch längere Lagerung herstellten, einigte man sich am Ende schiedlich friedlich darauf, die Steuern nicht zu erhöhen. Hingegen sollte Whisky entsprechend des Immature Spirits Act von 1915 zukünftig wenigstens 3 Jahre in Fässern reifen müssen. Daran hat sich bis heute nichts geändert. So erreichte David Lloyd George immerhin, dass die kommenden Jahre die Arbeiter und Soldaten nüchterner waren, weil weniger (schlechter) Whisky auf den Markt gebracht werden konnte.

Don't take alcoholic drinks on Mondays, Bildrechte Imperial War Museum, © IWM (Art.IWM PST 10115)Die großen Brennereien konnten Whisky seit dieser Zeit also legal als Premiumprodukt mit besserer Qualität vermarkten. Die kleineren Brennereien mit kürzer „Lagerung“ und weniger gutem Produkt gingen den Bach runter. Von 130 schottischen Brennereien vor dem Krieg blieb 5 Jahre später nur eine Handvoll übrig. Ein wesentlicher Grund hierfür war allerdings, dass das Central Control Board 1916 den Betrieb von Brennereien verbot, die nicht vom Munitionsministerium lizensiert waren. Eine Lizensierung war auch notwendig, um Getreide in Kriegszeiten effektiv rationalisieren zu können. Ebenso wurde der Export von Whisky 1917 verboten.

Zur Erinnerung: Munitionsminister war David Lloyd George.

Die neuen Qualitäten von Whisky durch die längere Lagerung sprachen sich mit der Zeit herum, und zwischen den Weltkriegen ging es der schottischen Whiskyindustrie trotz Prohibition in den USA eigentlich recht gut.

Dennoch: was uns heute von den schottischen Brennereien als Qualitäts- und Unterscheidungsmerkmal zu anderen Destillaten verkauft wird, gründet ursprünglich auf einer politischen Entscheidung, einem simplen Kompromiss.

Der Einfluss von David Lloyd George auf den Whisky, wie wir ihn heute kennen, endet dort aber noch nicht.

(Wer im Folgenden nicht abgehängt werden möchte, kann sich gerne mit diesem Artikel über „proof“ und Alkoholprozente weiterbilden)

Whisky wurde seinerzeit traditionell auf einen Alkoholgehalt von 15° oder 22° „under proof“ verdünnt und abgefüllt, sprich 48,6% oder 44,6% Alkohol. Einen gewissen Sinn für Qualität gab es damals also doch schon. Das Central Control Board „erlaubte“ ab 1915 nun auch die Produktion und den Verkauf von Whisky mit nur 65° proof (37,2% Alkohol). Es lobby-isierte gleichzeitig allerdings für eine Untergrenze von 50° proof, also knapp 28,6%. Wie zuvor schon einigte man sich mit der Whiskyindustrie zunächst auf einen weiteren Kompromiss: der Standardalkoholgehalt in Großbritannien sollte bei 75° proof oder knapp 43% liegen.

Anfang 1917 kam dann die nächste Änderung, diesmal von der Regierung und dem neuen Premierminister David Lloyd George selber veranlasst. Der Alkoholgehalt von Whisky durfte demnach nur noch zwischen 50° proof (28,6%) und 70° proof (40%) liegen. Ebenso legte man einen Mindestpreis fest und verbot den Brennereien weitere Steuererhöhungen (1920) durch Preiserhöhungen an den Verbraucher weiterzugeben. Spätestens diese Erhöhungen machten es finanziell uninteressant, wenn nicht sogar unmöglich, die 40% zu überschreiten, auch wenn viele dies aus Qualitätsgründen gerne wollten.

Mit der Zeit gewöhnten sich die Gaumen wohl an den niedrige(re)n Alkoholgehalt. Als die entsprechenden Beschränkungen irgendwann aufgehoben wurden, konnte man sich in der Whiskyindustrie hingegen sehr schnell darauf einigen, dass man den Kunden nicht zu viel Neues zumuten wolle, der Whisky zur Sicherung eines gewissen Qualitätsniveaus jedoch gerne mit 40% oder mehr abgefüllt werden sollte. So wurde aus der ehemaligen Obergrenze die heutige Untergrenze.

Am Ende des Ersten Weltkrieges kostete eine Flasche Whisky durchschnittlich ungefähr £1. Das wären heute £57 und damit eine Menge Geld für solch einen jungen Whisky. £1 bedeutete gleichzeitig eine Verfünffachung des Preises im Vergleich zur Vorkriegszeiten. Die Wirkung: David Lloyd George hatte ein Erfolgserlebnis, der Konsum von Whisky hatte sich im gleichen Zeitraum halbiert. Alleine in London fiel die Zahl der Anklagen wegen Trunkenheit von mehr als 67.000 in 1914 auf etwa 16.500 in 1917.

Lloyd George hatte es innerhalb von 3 Jahren also geschafft, zwei wichtige Regeln für die Produktion von Whisky zu definieren. Und das, obwohl er dabei weniger an die Qualität als an ein Verbot des Getränkes und des Alkohols als solchen dachte.

Das war David Lloyd George.

(Wobei er natürlich noch viel mehr war. Zum Beispiel der zweitbeliebteste Premierminister des 20. Jahrhunderts nach Churchill. Trotz seiner Trockenlegungspolitik.)

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