Whiskywelten: England (und Wales)

Landkarte von England mit englischer FlaggeWhisky kommt aus Schottland, nicht wahr? Whisky ist doch das Nationalgetränk Schottlands. Whisky aus England ist genauso wie Nessie in der Themse, oder? Oder genauso wie William Wallace aka Mel Gibson mit rot-weißer Schminke im Gesicht. Whisky aus England… das geht doch nicht, oder? Doch, das geht, mittlerweile. Ähnlichkeiten zur Szene britischer Mikrobrauereien sind bestimmt nicht rein zufällig.

In England und Wales wurde zwar schon im 17. Jahrhundert Whisky gebrannt, doch im Gegensatz zu Schottland oder Irland sind und waren diese Regionen dafür traditionell nur wenig bekannt. Ende des 19. Jahrhunderts gab es in England gerade noch 4 arbeitende Destillerien: die Lea Valley Distillery in London, die Bristol Distillery sowie die Bank Hall und die Vauxhall Brennereien, beide in Liverpool. 1903 brannte die letzte von diesen, Lea Valley, den letzten Whisky in England. Der Grund hierfür lag unter anderem im Erfolg von Scotch zu dieser Zeit. Brennereien südlich der schottischen Grenze mussten den Gesetzen der Marktwirtschaft folgend die Befeuerung ihrer Brennblasen einstellen. Bis zum Jahr 2003.

Seitdem sind in England 14 Brennereien gegründet worden, die auch Whisky produzieren – die meisten davon in den letzten 5 Jahren und fast ausnahmslos Mikrodestillerien. Nimmt man Wales mit dazu, steigt die Zahl auf zusammen 19, wie die Wine & Spirit Trade Association (WSTA) ausgerechnet hat.

Diese neuen Brennereien haben, genau wie ihre schottischen Nachbarn, allerdings ein Finanzierungsproblem. Sie haben während der mindestens 3 Jahre langen Reifung des Whiskys keine Einnahmequelle. Darum wird (auch) in England viel Gin, Rum und (englischer!) Wodka produziert, für die man keine staatlichen Vorgaben für die Lagerung erfüllen muss. Wobei man der Fairness halber sagen muss, dass Gin und Wodka in England in den letzten Jahren ihren eigenen Boom ausleben. ‚Viel Gin‘ (u.ä.) in Zahlen ausgedrückt heißt in diesem Fall: 315 Brennereien gab es am Ende von 2017 im gesamten Königreich, ein Zuwachs von 200 in nur 7 Jahren (England’s Anteil: knapp 110). Ein Großteil davon wurde über Crowdfunding (mit)finanziert.

Aber wie gesagt, nur 19 davon verdingen sich in England und Wales aktuell auch oder ausschließlich in Whisky. Dominic Roskrow, früher Herausgeber des Whisky Magazine und heute Chef der Craft Distillers Alliance, glaubt jedoch, dass sich die Zahl der Brennereien noch vervierfachen kann. Seiner Meinung nach steht England in vorderster Front, wenn man vom Whisky-Boom in Schottland profitieren möchte. Diese Meinung teilt auch Ciaran Myles, Forschungleiter der WSTA, der in vielen aktuellen Ginproduzenten potentielle Whiskybrenner sieht.

In London, dem letzten Standort einer Whiskydestillerie aus vergangener Zeit, kam im letzten Jahr zum ersten Mal nach mehr als 100 Jahren wieder Whisky aus einem Fass. Die London Distillery Company füllte ihren ersten Roggenwhisky in Flaschen. Nicht ganz traditionell europäisch, aber so ist das nun einmal, wenn man sich als kleiner Spieler von der Masse absetzen will muss. Landesweit war jedoch die St. George’s Distillery mit ihrem patriotischen ‚The English Whisky‘ 2009 die Erste. Zum Vergleich verkaufte die Penderyn Distillery in Wales 2004 den ersten Wales-Whisky.

Wie man es am Beispiel des Erstlingswerkes von der London Distillery Company schon erahnen mag, unterliegen die englischen Brennmeister bei der Ausführung ihres Handwerks nicht so strikten Regel wie ihre schottischen Kollegen. Die Scotch Whisky Regulations, die 2009 den 20 Jahre älteren Scotch Whisky Act ersetzten, gelten natürlich nicht in England. Somit kann man im Süden des Königreiches mehr experimentieren, mit Brennblasen, mit den Rohstoffen (Roggen statt Gerste) oder auch mit der Auswahl an Fässern (Walnuss oder Kirsche). Darüber ist man in England auch recht froh, damit man sich von großen Bruder im Norden handwerklich und geschmacklich abgrenzen kann, wie der Gründer der East London Liquor Company erklärt.

Karte des English and Welsh Whisky Trail der WSTASeit dem letzten Jahr gibt es einen offiziellen Whiskypfad in England und Wales, den ‚Welsh and English Whisky Trail‚. Die WSTA möchte hiermit den neuen Brennereien ein wenig auf die Sprünge helfen. Und natürlich will man sich etwas in das günstige Fahrwasser des Booms aus dem Norden legen, wo 2018 wohl zum ersten Mal mehr als 2 Millionen Touristen Glenfiddich & Co. besucht haben werden. Und jeder Besucher lässt im Schnitt über £30 in den schottischen Brennereien zurück.

Allerdings darf man sich diesen Pfad nicht so ‚pfadig‘ vorstellen wie den Malt Whisky Trail in der Speyside, auf dem man einige der Brennereien mit guten Schuhwerk durchaus ohne Motor erreichen kann. Die südliche Variante erstreckt sich vom Südwesten Cornwall’s über Wales und London bis weit in den Norden zum Lake District. Ohne die Strecke durchdacht zu haben, kann man da locker 2000 km zurücklegen, bevor man alle der noch wenigen Brennereien gesehen hat. Naja, immerhin gibt es in England ausreichend Autobahnen und Schnellstraßen.

Auch wenn der Pfad so groß ist, viele der neuen Brenner wollen gerne klein(er) bleiben. Einige davon wollen dem Whisky, dessen Produktionszahlen in Schottland durch alle Decken gehen, wieder den Hauch von Romantik und Handwerk zurück geben, den er sich über Jahrzehnte und Jahrhunderte verdient hat. Whisky braucht eben Zeit und Reife. Punkt.

Ja, aber… auch in England und Wales werden 3-jährige Whiskys abgefüllt, deren Preisschilder definitiv größer sind als ihr Reifegrad. Obwohl man Gin und Rum und Wodka und-ich-weiß-nicht-was-noch nebenbei gewinnbringend verkaufen kann. Ich bin mir ziemlich sicher, dass das in den Augen der Konsumenten zukünftig auf Kosten der Reputation einiger Brennereien geht. Erschwerend kommt für Traditionalisten eventuell auch der gesetzlich erlaubte Innovationsgrad bei Produktion und Lagerung hinzu – schmeckt Whisky nicht am besten wie bei Muttern?

Whiskyfass der Cotswolds DistilleryAndere wollen hingegen höher hinaus. Die Cotswolds Distillery beispielsweise erweitert ständig ihre Produktion und wirbt mit allen möglichen und unmöglichen Preisen für ihre noch jungen Produkte. Nicht zuletzt haben sie mit einem sogenannten Fachmann als Nachbarn einen eloquenten Fürsprecher: Jim Murray.

Die Lakes Distillery geht noch einen Schritt weiter und will sich an der Londoner Börse notieren lassen. Man will unter anderem für die Eröffnung eines Verkaufsbüros in den USA 15 Millionen Britische Pfund einspielen. Die Vereinigten Staaten sind nebenbei nicht nur der größte Markt für Mauerer sondern auch für Single Malt Whisky auf diesem unseren Globus. Größenwahn? Präsidial wohl schon, whiskytechnisch nicht unbedingt – wurde doch eine Flasche des Inaugural Release letztes Jahr für knapp £8000 versteigert.

Was bleibt am Ende des Booms von dieser neuen Whiskywelt also übrig? Schwer zu sagen, wenn die Kristallkugel gerade in der Politur ist. Zumal man über die künftige Qualität des englischen und walisischen Whiskys aktuell nur Vermutungen anstellen kann. Bisher haben schließlich gerade mal 2 der 19 Brennereien ein wenig mehr als ihr Gesellenstück abgeliefert. Die anderen befinden sich eher noch auf deutschen Niveau (ooops, habe ich das jetzt wirklich geschrieben…) und die meisten Schotten sind meilenweit von den Engländern (und Walisern) entfernt, nicht nur geografisch.

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