Wie viel Alkohol kommt ins Fass?

Ardbeg WhiskyfässerDie Herstellung von Whisky ist detailliert geregelt. Aus Getreide muss er gemacht sein. In Eichenholz soll er wenigstens 3 Jahre lagern, und die Fässer dürfen nicht größer als 700 Liter sein. Er muss mit mindestens 40% in Flaschen abgefüllt werden. Nicht geregelt und dennoch als eine Art „Industriestandard“ hat sich eine Füllstärke für Fässer von 63,5% etabliert. Doch warum?

Die Scotch Whisky Association (SWA) schreibt eigentlich nur vor, dass der Alkoholgehalt beim Befüllen von Fässern unter 94,8% liegen muss. Solch hohe Werte sind bei der Destillation von Malt Whisky erst gar nicht zu erreichen. Bei Grain Whisky macht diese Begrenzung schon mehr Sinn, um nicht einfach nur ein geschmacksneutrales Destillat abzufüllen, das jede Spur von Getreide verloren hat. Sonst könnte man Blended Whisky ja gleich mit Wodka oder günstigem Industriealkohol mischen.

Noch zwei Hinweise vorneweg, bevor ich weiter auf die 63,5% eingehe:

  1. Die einzig wahre Wahrheit gibt es nicht. Auch altgediente und erfahrene Whiskymacher kennen nur Vermutungen und Geschichten.
  2. Es gibt immer Brennereien und Abfüllungen, die von dem „Industriestandard“ abweichen. Ich nenne ihn trotzdem so.

Versuchen wir also Fakten zu finden, um diesen vermeintlichen Industriestandard zu erklären.

Destillation
Das durch die Fermentation der Würze entstandene (hopfenfreie) Bier wird in Brennblasen typischerweise 2 oder 3 Mal destilliert. Bei zwei Brennvorgängen erreicht der Rohbrand („Low Wines“) nach der ersten Destillation einen Alkoholgehalt von ungefähr 20%. Nach der zweiten Destillation sind es irgendwo um 70%, plus-minus. Brennt man ein drittes Mal, verschieben sich die Prozente der ersten beiden Durchgänge nach unten, im letzten Durchgang kann dann durchaus mehr als 70% erreicht werden. Beim kontinuierlichen Brennvorgängen von Grain Whisky kann der Alkoholgehalt sogar deutlich höher sein. Das in die Fässer gefüllte Destillat könnte also theoretisch eine ganze Bandbreite an Alkoholprozenten decken.

Angel’s Share
Während der jahrelangen Reifung von Whisky in Eichenholzfässern entweicht ständig etwas Alkohol durch die Fasswände. Das ist der sogenannte „Angel’s Share„. In Schottland sind das zwischen 1 bis 2% pro Jahr. Dies zusammen mit der Forderung eines Mindestalkoholgehalts von 40% in einer Whiskyflasche bedeutet, dass man Whisky, der nur mit 50 oder vielleicht 55% ins Fass kommt, in Schottland nicht sehr lange lagern kann. Jedenfalls nicht, wenn man ihn nach 10 oder 15 Jahren im Fass noch als Whisky verkaufen möchte.

Fassdauben von Fässern mit unterschiedlicher Vornutzung, Wein, Port, SherryVornutzung des Fasses
Die Entscheidung, wie viel Alkohol in ein Fass kommt, muss man natürlich auch von der Vornutzung des Fasses abhängig machen. War Bourbon im Fass, wird das Holz durch diese Vorbelegung andere Aromen abgegeben haben, als es bei einem Weinfass der Fall sein wird, da Wein einen deutlich geringeren Alkoholgehalt hat als Bourbon. Mehr Alkohol in der Vornutzung sollte daher auch mit mehr Alkohol bei der Fassbelegung einhergehen.

Lagerplatz
Fässer Lagerhaus SpringbankAlleine in Schottland werden jährlich Millionen von Litern von New Make gebrannt, in Fässer gefüllt und in Lagerhäusern eingelagert. Das nimmt Fässer und Lagerplatz in Anspruch, und beides ist nicht kostenlos zu haben. Je mehr Alkohol man also in ein Fass bekommt, desto günstiger wird es. Dass man dennoch hingeht und den New Make vor der Fassbefüllung mit Wasser auf die genannten 63,5% verdünnt, sollte also andere als ökonomische Gründe haben. Zumal man den Großteil des Whiskys noch ein weiteres mal verdünnt, bevor er in Trinkstärke in Flaschen abgefüllt wird. Warum nimmt man bitte die doppelten Kosten in Kauf?

Reifung
Die Mehrkosten nimmt man in Kauf, weil man herausgefunden hat, dass die Reifung des Destillates im Fass bis zu einer gewissen Menge an Alkohol besser verläuft als bei höheren Mengen. Baldwin und Andreasen, die seinerzeit als Chemiker für Seagram arbeiteten, haben in ihrem Artikel „Congener Development in Bourbon Whisky Matured at Various Proofs for Twelve Years“ von 1974 dargelegt, dass die Bildung von Farbe und Aromastoffen (Säuren, Tannine, Esther… wir reden hier über insgesamt mehr als 400 Stoffe!) mit steigendem Alkoholgehalt abnimmt. Soll heißen: der Whisky reift langsamer.

Reifung nach Baldwin und Andreasen über einen Zeitraum von 12 Jahren, abhängig vom Alkoholgehalt:
Reifung von Whisky, Farbe, Feststoffe, Säuren, Esther, Aldehyde, Furfural, Tannine

Den Messungen von Baldwin und Andreasen zufolge nehmen die Konzentrationen der verschiedenen Stoffe nach 12 Jahren ganz deutlich ab, wenn man den Alkoholgehalt von 109° auf 155° proof erhöht (Farbe 25%, Feststoffe 35%, Säuren 50%, Esther 18%, Aldehyde 15%, Furfural 24%, Tannine 28%).

1981 hat George H. Reazin präzisieren können, dass der Effekt ab einem Alkoholgehalt von etwa 120° proof für einen Zeitraum vom 6 Jahren spürbar zunimmt. Zudem fand er heraus, dass der Gehalt verschiedener Zuckerarten (Arabinose, Xylose, Glukose und Glycerin) sich im reifenden Whisky in etwa halbiert, wenn der Alkoholgehalt von 109° auf 141° proof erhöht wird. Weniger Alkohol bedeutet also einen weicheren, süßeren Whisky mit weniger Bitterstoffen.

Die 63,5% Alkoholgehalt liegen nun leicht über dem von Reazin gefundenen Optimum von ungefähr 60%. Man sollte jedoch bedenken, dass der Angel’s Share schon nach ein paar Jahren das Destillat so weit verdünnt hat, dass man sich wieder im grünen Bereich befindet. Also lieber mit ein wenig mehr abfüllen und Geld für Lagerkosten sparen. Man ist ja schließlich in Schottland.

Handel
Unbekannte BrennereienEs wird häufiger behauptet, dass die 63,5% sich etabliert haben, weil Brennereien, Abfüller und Broker Fässer untereinander tauschen. Das geschah oft im simplen Verhältnis 1:1, solange das Fass nicht von einer der „teuren“ Brennereien befüllt wurde. Deine 10 Fässer von Glenlossie gegen meine 10 von Tamdhu… oder so ähnlich. Da ist es natürlich praktisch, wenn man den gleichen Ausgangspunkt hat, was den Alkoholgehalt angeht. Mit den heute verfügbaren Daten, die in elektronischer Form über den Lagerbestand vorhanden sind, und der allgemein gebräuchlichen Angabe LPA („liter pure alcohol“) würde man das sicherlich leicht umrechnen können. Aber vor 50 oder 60 Jahren gab man sich wohl eher die Hand, und der Deal war gelaufen. Lange bevor Reazin, Baldwin & Co. sich Gedanken über Alkohol gemacht haben.

Ausnahmen gab und gibt es allerdings zur Genüge. Zum einen machen spezielle Kundenwünsche einiges möglich. Zum anderen entschied sich Diageo beispielsweise in den rezessionsgeplagten 80er Jahren dazu, die letzten Destillate von Brora und Port Ellen unverdünnt abzufüllen. Der konzerneigene Lagerbestand war ausreichend groß und man hatte die nötige Zeit für eine lange Reifung. Bruichladdich hat nach der Neueröffnung im Jahre 2001 komplett auf das Verdünnen verzichtet. Man könne es sich nicht leisten, Wasser zu lagern, hieß es. Oder wie Jim McEwan es sehr trefflich ausdrückte: „Why mature water?“. Und Macallan sowie Highland Park (beide Teil der Edrington Group) haben mit knapp 69% bzw. 70% abgefüllt.

Versicherung
Versicherungsgesellschaften sollen schuld sein. Sie forderten wegen zu hoher Brandgefahr eine Verdünnung vor der Lagerung bzw. gaben bei 63,5% einen Preis, den die Brennereien akzeptieren konnten. Ähm… ab wann brennt Whisky noch gleich? Ach ja, per Definition ab 100° proof (in diesem Fall den britischen), also 57,1 Volumenprozent. So weit zu diesem Mythos.

Pragmatismus
Eine andere Behauptung hat auch mit britischen proof-Angaben zu tun. Als man in schottischen Brennereien noch in proof rechnete, hatten die Brennmeister sich darauf geeinigt, dass Whisky mit 111° proof, also genau 63,5%, abzufüllen sei. Weil… genau… man sich diese Zahl einfach gut merken kann. Hat man einmal typisch schottischen Pragmatismus erlebt, ist diese Behauptung als Teil einer Begründung für den Industriestandard vielleicht nicht ganz abwegig. Es wäre allerdings ein recht zufälliger Teil.

Abschließend noch ein Blick in die USA… 1962 hat das dortige Finanzministerium die Obergrenze für Alkohol in frisch befüllten Fässern von 110 auf 125 proof (62,5%) angehoben. Fast alle großen Brennereien haben darauf reagiert und füllen ihr Destillat mit höherem Alkoholgehalt ab. Man kann ja Lagerkosten sparen. Nur Maker’s Mark hat die 110° proof beibehalten. Warum? Weil das eine der Stellschrauben ist, um schneller mehr Geschmack in den Whisky zu bekommen. Kleinere und jüngere Brennereien, die auf ihren cash flow achten müssen, gehen den gleichen Weg. Manche füllen sogar nur mit 51,5% ab! Die Entscheidungskriterien sind wohl eine Mischung aus Philosophie und Ökonomie. Nun ja, Whiskey in den USA lagert ja nicht so lange, und man muss sich über den Angel’s Share keine Gedanken machen.

Doch wie immer gilt:

Mehr oder weniger Alkohol bei der Fassabfüllung machen den Whisky nicht besser. Nur anders.

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